EU-Gipfel: Merkel erwartet "sehr, sehr schwere Verhandlungen"

EU-Gipfel: Merkel erwartet "sehr, sehr schwere Verhandlungen"
Treffen soll Weichen für Wiederaufbau nach Coronakrise stellen
Die meisten kamen wegen Corona mit Schutzmaske, aber ein Blatt vor den Mund nahm nicht jeder: Ein Teilnehmer des EU-Gipfels kritisierte schon vor dem Start das "Mantra von Brüssel" und ließ Widerstand vermuten.

Brüssel (epd). Der EU-Gipfel in Brüssel, der die Weichen für die wirtschaftliche Erholung nach der Coronakrise stellen soll, ist mit hohen Erwartungen und der Gefahr des Scheiterns gestartet. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erwartete von dem zweitägigen Zusammentreffen "sehr, sehr schwere Verhandlungen", wie sie am Freitag beim Eintreffen im Brüsseler Ratsgebäude sagte. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen erklärte: "Es könnte das Risiko heute nicht größer sein, aber auch die Möglichkeiten."

Beim ersten physischen Zusammentreffen der 27 Staats- und Regierungschefs seit der Coronakrise liegen der reguläre EU-Haushalt der kommenden sieben Jahre (Mittelfristiger Finanzrahmen - MFR) und ein Wiederaufbaufonds gegen die ökonomischen Folgen der Pandemie auf dem Tisch. EU-Ratspräsident Charles Michel hat Vorschläge in Höhe von 1,075 Billionen Euro für den MFR und 750 Milliarden Euro für den Aufbaufonds gemacht, zusammen also über rund 1,8 Billionen Euro.

Offen oder sogar strittig sind aber eine Reihe von Punkten. Es geht wie bei jedem Haushalt um die Verteilung der Gelder auf die verschiedenen Politikbereiche der Union - zum Beispiel für Landwirtschaft, Forschung oder Entwicklungshilfe. Es geht aber auch um die Kriterien, nach denen die Extra-Unterstützung aus dem Wiederaufbaufonds gezahlt wird, um deren Fristen und inwieweit diese Hilfen als Kredite vergeben und damit zurückgezahlt werden sollen.

Merkel sagte, die Unterschiede in den Positionen seien "doch noch sehr, sehr groß". Sie könne nicht voraussagen, "ob wir bei diesem Mal schon zu einem Ergebnis kommen". Auf der Kanzlerin liegt besondere Verantwortung, weil Deutschland am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat.

Kommissionschefin von der Leyen sprach von einem Tag "von unglaublicher Wichtigkeit". Es gehe nicht nur darum, über die Krise hinwegzukommen, sondern auch um eine Modernisierung der EU, um die Digitalisierung und den Green Deal, also den Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft hin zu mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit.

Diese Prioritäten hinterfragte zumindest einer öffentlich. Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babis sprach mit Blick auf Digitalisierung und Green Deal von einem "Mantra von Brüssel" und sagte: "Wir müssen vielleicht unseren Ansatz ändern zu traditionelle Industrien hin", womit er vor allem die Autoindustrie meinte. Babis zeigte sich auch bei anderen Fragen kämpferisch, etwa den Rabatten, die einige EU-Staaten aus historischen Gründen bei ihren Beiträgen in den EU-Haushalt bislang und nach aktuellen Plänen weiter erhalten sollen - darunter Deutschland.

Ministerpräsident Jüri Ratas aus Estland sprach von zwei sehr harten und schwierigen Tagen, die Freitag und Samstag bevorstünden: "Alle Mitgliedsländer werden einige Kompromisse machen müssen." Frankreichs Präsident Emmanuel Macron präsentierte sich "zuversichtlich, aber vorsichtig". Zusammen mit Merkel und Michel wolle er alles für eine Einigung tun.