Kassel, Berlin (epd). Der Sozialverband VdK will die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung vor dem Bundesverfassungsgericht klären. Der Verband erklärte am Mittwoch in Berlin ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) für nicht hinnehmbar, wonach gesetzliche Krankenkassen wegen zu spät bearbeiteter Leistungsanträge von Versicherten keine hohen finanziellen Einbußen mehr fürchten müssen (AZ: B 1 KR 9/18 R). "Wir bedauern es, dass der Erste Kasseler Senat den Krankenkassen einen Blankoscheck für langsames Arbeiten ausstellt. Das Urteil benachteiligt einseitig die gesetzlich Versicherten", erklärte VdK-Präsidentin Verena Bentele.
In dem vom BSG entschiedenen Fall leidet der Kläger an einer Erkrankung im Kleinhirn und damit verbundenen Gangstörungen. Sein Arzt wollte diese mit einem Medikament behandeln, das nur bei Multipler Sklerose zugelassen war. Da das Medikament nun außerhalb der Zulassung eingesetzt werden sollte, beantragte er bei seiner Krankenkasse die Kostenübernahme.
Weil der Versicherte zunächst nichts von seiner Kasse hörte, kam er selbst für die Kosten des Medikaments auf. Erst nach fast drei Monaten wurde der Antrag abgelehnt.
Nach dem Gesetz haben Kassen grundsätzlich drei Wochen Zeit, bei Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen fünf Wochen Zeit, über Anträge der Versicherten zu entscheiden. Bei einer verpassten Frist gilt der Antrag als "fiktiv genehmigt".
Darauf pochte auch der Kläger und verlangte die Kostenerstattung. Er berief sich auf mehrere, seit 2016 gefällte BSG-Urteile, die die Leistungspflicht der Krankenkassen wegen eines zu spät entschiedenen Antrags bestätigten. Danach haben Versicherte grundsätzlich einen Sachleistungs- oder, wenn sie in Vorleistung gegangen sind, einen Kostenerstattungsanspruch, auch wenn die Behandlung nicht zum Leistungskatalog der Krankenkassen gehört.
Doch im aktuellen Fall machte der zuständige Erste BSG-Senat mit seinem neuen Vorsitzenden, dem BSG-Präsidenten Rainer Schlegel, eine Kehrtwende. Ein Anspruch auf Sachleistung besteht danach nicht mehr. Vielmehr führt die Genehmigungsfiktion nur noch zu einem "vorläufigen" Anspruch auf Kostenerstattung, wenn sich der Versicherte die Leistung selbst beschafft hat und zu diesem Zeitpunkt "gutgläubig" war.
Die Kasse müsse aber über den Antrag inhaltlich entscheiden. Werde dieser - wenn auch zu spät - abgelehnt, bestehe ab diesem Zeitpunkt auch kein Kostenerstattungsanspruch mehr, entschied das BSG, das den Streitfall allerdings an die Vorinstanz zurückverwies.