Theologe Kossen will Fleischlabel für faire Arbeitsbedingungen

Theologe Kossen will Fleischlabel für faire Arbeitsbedingungen
Diakoniechef Lilie: Menschenwürdige Arbeit muss generell sichergestellt sein
Die skandalösen Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie treten in der Corona-Krise deutlich zu Tage. Hier müsse die Politik schleunigst für Verbesserungen sorgen, mahnen Kirchenvertreter - und richten den Blick auf den ganzen Niedriglohnsektor.

Lengerich, Berlin (epd). Der katholische Pfarrer Peter Kossen hat ein Label für faire Arbeitsbedingungen und Entlohnung in der Fleischindustrie vorgeschlagen. Damit könnten die Verbraucher ein angemessenes Verhalten von Unternehmern unterstützen und die in der Branche bislang übliche Ausbeutung von Leih- oder Werkvertragsarbeitern boykottieren, sagte Kossen dem Evangelischen Pressedienst (epd). Ähnlich äußerte sich auch Diakoniechef Ulrich Lilie. Er warb dafür, generell mehr gegen Ausbeutung und Menschenhandel in Deutschland zu tun.

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) hält ein Label dagegen für nicht praktikabel und wenig erfolgversprechend. Die 2015 eingeführte freiwillige Selbstverpflichtung der Fleischindustrie habe sich überhaupt nicht ausgewirkt, sagte eine Sprecherin. Die notwendige Kontrolle bei einem verbindlichen, flächendeckenden Label sei aber aufwendig und müsste von staatlichen Stellen vorgenommen werden.

Kossen betonte, immer mehr Menschen seien bereit, einen Euro mehr für Fleisch und Wurst zu bezahlen, wenn die überwiegend aus Osteuropa stammenden Arbeiter anständig behandelt würden. Bislang sei aber nicht erkennbar, wo und unter welchen Bedingungen das Fleisch verarbeitet worden sei. Der Priester ist im nordrhein-westfälischen Lengerich in der Nähe von Osnabrück tätig. Er hatte sich schon während seiner Tätigkeit im Offizialatsbezirk Vechta für die Rechte osteuropäischer Arbeiter in der Fleischindustrie starkgemacht und Missstände angeprangert.

Kossen sagt, die Corona-Krise lenke jetzt das Licht der Öffentlichkeit auf die menschenunwürdigen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitsmigranten. Er hoffe, dass dadurch endlich auch die Politik reagiere und die verbotenen Praktiken des Lohndumpings und der Massenunterbringung zu Wuchermieten beende. Die Leiharbeit in den Betrieben müsse insgesamt begrenzt werden.

Die Gewerkschaft NGG fordert ein Ende der Werkverträge, die ohnehin nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprächen. Nach ursprünglicher Lesart müssten Werkvertragsarbeiter eigentlich als Selbstständige ihre Arbeit bei einem Auftraggeber abliefern, betonte die Sprecherin. In den Firmen arbeiteten aber ganze Kolonnen von Arbeitern unter Aufsicht eines Vorarbeiters.

In mehreren Großschlachtereien in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und weiteren Bundesländern waren in den vergangenen Tagen zum Teil mehr als 100 Fälle von Corona-Infektionen festgestellt worden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kündigte Konsequenzen angesichts der "erheblichen Mängel" bei der Unterbringung der Arbeiter an. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will am Montag ein Konzept dazu vorlegen.

Diakonie-Präsident Lilie bezeichnete die Lebens- und Arbeitsbedingungen vieler Arbeitnehmer, insbesondere aus anderen EU-Ländern, im Niedriglohnsektor in Deutschland als "unhaltbar". Ob auf dem sogenannten "Arbeiterstrich" für Tagelöhner oder oft auch in Industrie, Logistik oder Hotel- und Gaststättengewerbe, in der Saisonarbeit und Landwirtschaft, oft seien Menschen unter teils skandalösen Bedingungen und zu Niedrigstlöhnen beschäftigt.

Die Katholische Landvolkbewegung Deutschland (KLB) kritisierte das bestehende Wirtschaftssystem, "bei dem mit geringen Kosten der größtmögliche Gewinn erzielt werden soll". "Die hohe Anzahl von Werksverträgen hebelt unser Sozialsystem aus", sagten Nicole Podlinski und Korbinian Obermayer, Bundesvorsitzende der KLB.

epd lnb/db jup