Washington (epd). Die Zahl der Corona-Toten in den USA steigt um rund 2.000 pro Tag - und dennoch wird über eine Lockerung der Richtlinien zur Eindämmung des Virus diskutiert. Präsident Donald Trump macht Druck. Der Schwerpunkt der Beschränkungen liegt auf dem Verbot von Versammlungen. Daran halten sich die allermeisten Kirchen, Gottesdienste laufen online.
Mehr als ein Drittel der 50 US-Staaten plant nun Lockerungen. Manche Gemeinden haben Bedenken. Er wolle sich "Zeit nehmen", sagte Pastor John Dees von der evangelikalen CrossPoint-Kirche in Madison in Alabama. Er habe mit Kollegen gesprochen und man sei zum Schluss gekommen, "dass wir noch nicht bereit sind", erklärte Dees auf Facebook seine Gemeinde.
Die Regionen sind unterschiedlich stark von der Pandemie betroffen. In New York City ist an Gottesdienste nicht zu denken. Im dünn besiedelten Montana mit nicht einmal 600 bekannten Infektionen dürfen Kirchen wieder Gottesdienste feiern, wenn Einzelpersonen und "Familiengruppen" 1,80 Meter voneinander entfernt sitzen.
Kirchen und religiöse Veranstaltungen waren Infektionsherde. In der Hauptstadt Washington war Anfang März der erste bekannte Covid-19-Patient der Pastor einer anglikanischen Kirche. Er habe sich vermutlich bei einer Kirchenkonferenz angesteckt, sagte Pfarrer Tim Cole in einem Fernsehinterview. Cole ist wieder gesund, doch das Gesundheitsamt schickte Hunderte Kirchenmitglieder in Quarantäne.
Ein Covid-19-Ausbruch in dem 90.000 Einwohner zählenden Landkreis Dougherty County im Staat Georgia geht nach Regierungsangaben offenbar auf zwei Bestattungen im Februar zurück. Laut Gesundheitsministerium sind mittlerweile 119 Menschen in dem Landkreis an Corona gestorben.
Er würde so gerne wieder Gottesdienste feiern, sagte Baptistenpastor Michael Catt aus diesem Landkreis im Informationsdienst Baptist Press. Doch es sei noch zu früh. Die örtliche Pastorenkoalition appellierte zudem an Bewohner, einen Mundschutz zu tragen und Abstand zu halten. Der Baptistische Missionsausschuss in Georgia gab detaillierte Tipps für die ersten Gottesdienste: Abstand halten, Möglichkeiten zum Händewaschen anbieten und keine Gesangbücher benutzen, die von Hand zu Hand weiter gegeben werden.
Entschieden haben sich afro-amerikanische Geistliche gegen eine rasche Öffnung gewehrt. Schwarze sind überproportional betroffen von Covid-19. Nach Angaben des Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention sind 30 Prozent der Corona-Patienten Afro-Amerikaner. Schwarze machen 13 Prozent der US-Bevölkerung aus. In Krankenhäusern in Georgia waren 83 Prozent aller Corona-Patienten Afro-Amerikaner.
Das hat mit dem Einkommensgefälle zu tun. Afro-Amerikaner leben eher in Armut, haben eine relativ schlechte medizinische Versorgung und arbeiten eher in Dienstleistungsjobs, bei denen sie viel in Kontakt kommen mit anderen Menschen.
Die Forderungen nach Lockerungen kommen in den USA vornehmlich aus dem konservativen Spektrum. Trump hat bereits im März gefordert, "das Land bis Ostern" wieder zu öffnen. Man würde überall "volle Kirchen haben". Einige wenige Kirchen haben im Namen der Religionsfreiheit gegen Beschränkungen geklagt.
Auch demografische Faktoren geben Gemeinden zu Denken. Viele Mitglieder sind im Rentenalter und daher eher gefährdet, sollten sie sich anstecken. Der Politikwissenschafter Ryan Burge von der Eastern Illinois University hat die Daten erfasst: Bei den Anglikanern seien 68 Prozent über 55, bei den Methodisten 64 Prozent und in der Evangelischen Lutherischen Kirche in Amerika 61 Prozent.
Das Pew Reseach Center hat sich zudem nach der Auswirkung der Pandemie auf den Glauben erkundigt. 38 Prozent der Protestanten, 42 Prozent der Evangelikalen, 27 Prozent der Katholiken und 56 Prozent der Mitglieder protestantischer schwarzer Kirchen erklärten, wegen des Virus sei ihr Glauben stärker geworden.