Gewerkschaften fordern bessere Löhne für systemrelevante Berufe

Gewerkschaften fordern bessere Löhne für systemrelevante Berufe
Erstmals seit über 70 Jahren keine großen Kundgebungen und Demonstrationen zum 1. Mai
Das hat es in 70 Jahren Deutscher Gewerkschaftsbund noch nicht gegeben: Der 1. Mai fand 2020 ohne große Kundgebungen statt. Stattdessen wandten sich die Interessenvertreter der Arbeitnehmer per digitaler Live-Show an die Öffentlichkeit.

Berlin/Hannover (epd). Mit Videobotschaften und Live-Interviews in sozialen Netzwerken haben die Gewerkschaften zum Tag der Arbeit ihre Forderungen nach Lohngerechtigkeit und besseren Arbeitsbedingungen bekräftigt. Besonders im Mittelpunkt standen dabei vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie die sogenannten systemrelevanten Berufe etwa im Gesundheitswesen, in der Pflege oder im Einzelhandel. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) übertrug aus seiner Berliner Zentrale eine dreistündige Live-Show zum 1. Mai auf der eigenen Internetseite und in den sozialen Netzwerken. Zum ersten Mal seit Gründung des DGB 1949 fanden dieses Jahr wegen der Corona-Pandemie keine Kundgebungen der Gewerkschaften statt.

DGB-Chef Reiner Hoffmann verlangte in einem Video bessere Löhne und Arbeitsbedingungen. "Wertschätzung hat auch einen Preis", sagte er. Dies bedeute ordentliche Tarifverträge mit guten Arbeitsbedingungen und vernünftigen Löhnen. In der jetzigen Situation müssten nicht nur Unternehmen, sondern auch Menschen vor dem Absturz geschützt werden. Die Anhebung des Kurzarbeitergeldes erst nach vier Monaten komme zu spät. Hoffmann verlangte insgesamt mehr Solidarität in der Gesellschaft: "Nur solidarisch werden wir die Krise meistern." Solidarität mache die Gesellschaft gerechter und in Krisenzeiten widerstandsfähiger.

Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack sagte, die Krise habe nochmals deutlich gemacht, welche Berufsgruppen der Gesellschaft das Überleben sicherten: "Applaus und warmer Händedruck reichen nicht aus, wir brauchen für diese Berufsgruppen eine echte Aufwertung."

Auch die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di drängte zum Tag der Arbeit auf eine Aufwertung systemrelevanter Berufe. Nach dem Höhepunkt der Pandemie sollten bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Bezahlung in diesen Berufen "notfalls auch mit Streiks" durchgesetzt werden, erklärte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke am Freitag in Berlin. Er fügte hinzu: "Wir werden alle beim Wort nehmen, die zurzeit täglich eine größere gesellschaftliche Anerkennung für diese Berufe fordern, in denen besonders viele Frauen arbeiten." Extrazahlungen seien gut, nachhaltige Tarifverträge aber besser.

Gleichzeitig sei es eine "gesellschaftliche Aufgabe, für den Erhalt jedes Arbeitsplatzes zu kämpfen, der gefährdet ist." Die gesetzliche Erhöhung des Kurzarbeitergeldes wertete Werneke als Erfolg der Gewerkschaften, erst ab dem vierten Monat komme sie aber zu spät.

Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Michael Vassiliadis, würdigte in einer in Hannover verbreiteten Video-Botschaft an die Mitglieder seiner Gewerkschaft das gestiegene Bewusstsein in der Bevölkerung, in der Corona-Krise aufeinander achtzugeben. Derzeit gebe es dazu viele kleine und große Initiativen, von Nachbarschaftshilfen über Einkaufsgemeinschaften bis zur Umstellung der Produktion auf Desinfektionsmittel. "Solidarität - der Wertekern der Gewerkschaftsbewegung - wird in diesen Tagen stärker gelebt denn je", sagte Vassiliadis. "Es steht zu hoffen, dass sich die Gesellschaft etwas davon bewahrt, wenn die Krise vorbei ist."