Berlin/Kassel (epd). Der Soziologe Heinz Bude sieht in der Corona-Krise eine "weltgeschichtliche Zäsur". "Es gibt eine grundsätzliche Veränderung von Werten, von Vorstellungen der politischen Organisationen und von individuellen Verhaltensorientierungen", sagte Bude dem Berliner "Tagesspiegel" (Dienstag). Der Soziologe lehrt an der Universität Kassel und lebt in Berlin. Zudem berät er den Angaben zufolge mit anderen Experten die Bundesregierung zu Covid-19.
Bude zufolge wächst durch die Corona-Krise wieder das Staatsvertrauen und die Bedeutung des Neoliberalismus sinkt. "Der Staat ist zurück, nicht als autoritärer Staat, den man fürchten müsste, auch nicht als patrimonialer Staat, der uns vorgibt, wie wir zu leben hätten. Sondern ein Staat, der auf solidarischer Einsicht beruht", sagte der 66-Jährige. Dies zeige sich bei den Menschen an der "Bereitschaft einer gewissen Folgsamkeit", aufeinander achtzugeben.
Bereits vor der Corona-Krise habe sich eine Epochenschwelle angekündigt: "Aus einer Periode, in der wir - das will ich ganz positiv sagen - das Ich gefeiert haben, sind wir an einen Punkt gekommen, an dem nicht mehr Freiheit die große Formel sein kann." Die Formel laute nun Schutz. "Freiheit und Schutz zusammenzudenken, das wird uns die kommenden 20 Jahre beschäftigen", sagte Bude.
Die Erfahrung der individuellen Verwundbarkeit führe zudem wieder zu mehr Solidarität. "Individuellen Wohlstand vor dem Hintergrund des allgemeinen Wohlstands zu sehen - dafür haben wir in Deutschland die allerbesten Chancen", sagte der Soziologe und fügte hinzu: "Wir werden zu einer neuen Form der sozialen Marktwirtschaft finden."