Berlin, Koblenz (epd). Vom weltweit ersten Prozess zu Staatsfolter in Syrien, der am Donnerstag in Koblenz startet, erhoffen sich Opfer und Menschenrechtler eine Signalwirkung. Er könne helfen, den Weg für internationale Verfahren und letztlich zur Strafverfolgung der Regimespitze zu ebnen, erklärte die Menschenrechtsorganisation ECCHR am Montag in einer Online-Pressekonferenz. Vor dem Oberlandesgericht Koblenz müssen sich zwei Ex-Geheimdienstfunktionäre der syrischen Regierung verantworten.
Anwar R. und Eyad A. werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Sie sollen für die Folter zahlreicher Menschen in einer Haftanstalt des Geheimdienstes mitverantwortlich gewesen sein.
Die Erkenntnisse aus dem Prozess könnten für weitere Verfahren genutzt werden, sagte ECCHR-Mitbegründer Wolfgang Kaleck. Koblenz könne eine neue Dynamik auslösen und als "Eisbrecher" dienen. Damit könnten auch Verfolgte des syrischen Regimes, die sich bislang völlig machtlos fühlten, ermutigt werden, mit Informationen an die Öffentlichkeit zu gehen. Ziel seien letztlich Verfahren gegen die Spitze des Assad-Regimes vor einem internationalen Tribunal und auch in Syrien selbst. Der in Koblenz angeklagte Anwar R. sei "kein kleiner Fisch", aber es müsse das ganze Bild in den Blick genommen werden.
Der Prozess solle dabei helfen, die Politik und Struktur des Regimes aufzudecken, bekräftigte der syrische Anwalt Anwar al-Bunni. Die Verantwortlichen für die Verbrechen müssten zur Rechenschaft gezogen werden, die Waffe der Folter müsse dem Regime aus den Händen geschlagen werden.
"Diese Verbrechen gehen auch heute noch weiter", betonte ECCHR-Jurist Patrick Kroker. Es müsse Licht in das ganze System gebracht werden. Deshalb hätten auch Opfer gewagt, Anzeige einzureichen und als Nebenkläger aufzutreten. Sie wollten, dass die Welt die Wahrheit erfahre, was nicht nur ihnen passiert sei, sondern vielen anderen und immer noch anhalte.
Anwar R. wird als Mittäter eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit beschuldigt. Im Zusammenhang damit wird ihm laut Anklage Mord in 58 Fällen, Vergewaltigung und schwere sexuelle Nötigung zur Last gelegt. Er leitete den Angaben zufolge eine Ermittlungseinheit mit angeschlossenem Gefängnis des syrischen Allgemeinen Geheimdienstes in Damaskus. Dort hätten allein zwischen Ende April 2011 und Anfang September 2012 mindestens 4.000 Gefangene brutale und massive Folter bei ihrer Vernehmung erlitten, 58 Menschen seien infolge der Misshandlungen gestorben.
Gegen Eyat A. besteht der Bundesanwaltschaft zufolge Tatverdacht der Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Er sei in einer Unterabteilung beschäftigt gewesen, die der Ermittlungsarbeit von Anwar R. zuarbeitete. Dabei habe er im Herbst 2011 die Folterung von mindestens 30 Menschen ermöglicht.
Die beiden Beschuldigten verließen Syrien laut Bundesanwaltschaft vor rund sieben Jahren und kamen 2014 beziehungsweise 2018 nach Deutschland. Sie wurden im Februar 2019 festgenommen. Nach dem Weltrechtsprinzip können Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit überall geahndet werden, ganz gleich, wo die Taten verübt wurden. In Deutschland ist dies durch das Völkerstrafgesetzbuch von 2002 geregelt.