Bonn/Berlin (epd). Der BIVA-Pflegeschutzbund sieht die Kontaktsperren für Angehörige in Pflegeeinrichtungen kritisch. In knapp 90 Prozent aller Heime gebe es fast keine Besuche mehr, sagte Vereinsvorstand Manfred Stegger dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das habe gravierende Folgen für die Heime, die Bewohner und die ausgesperrten Angehörigen, erklärte der Patientenschützer. "Jedes Beharren auf starren Regeln führt zu unnötiger menschlicher Grausamkeit."
Zwar müssten alle Hygienevorgaben und Kontaktsperren strikt eingehalten werden. Doch Stegger hält diese rigiden Vorgaben keineswegs für alternativlos. Wenn Angehörige Schutzmaßnahmen akzeptierten, sollten sie zumindest sterbende Verwandte besuchen dürfen. "Ein sterbender alter Mensch muss nicht mehr vor einem Virus geschützt werden." Der Pfelgeschutzbund ist eine Interessenvertretung für Pflegeheim-Bewohner.
Auch der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, warnte davor, Altenheim-Bewohner in der Corona-Krise dauerhaft abzuschotten. Um Besuch zu ermöglichen, müssten die Einrichtungen neue Sicherheitskonzepte entwickeln, sagte Reinhardt den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Mittwoch). "In einem Altenheim zum Beispiel muss wieder Besuch stattfinden können - aber eben abgesichert." Er empfiehlt den Einrichtungen eine Schleuse einzurichten, in der sich alle Besucher desinfizieren und Schutzkleidung anziehen sollten. "Erst danach sollten sie die Räume der Bewohner betreten."
Reinhardt fügte hinzu, dass die zusätzlichen Hygienemaßnahmen nicht in die Zuständigkeit der Pflegekräfte fallen dürften. "Das wäre etwas für Freiwilligendienste", sagte der Ärztepräsident. Die Kosten dafür solle die öffentliche Hand tragen.
BIVA-Vorstand Stegger verdeutlichte, dass die aktuellen Besuchsverbote die Bewohner und sich sorgende Angehörige auf eine harte Probe stellten. "Viele Ratsuchende sind verunsichert, manche berichten an unserem Beratungstelefon von weinenden oder depressiven Heimbewohnern."
Zwar erlauben laut Stegger nahezu alle Länder theoretisch weiterhin Besuche, die medizinisch oder ethisch-sozial erforderlich sind. In manchen Ländern würden auch gesetzliche Betreuer, Anwälte oder Notare hereingelassen. Aber: "In extremen Akutsituationen, wenn etwa das Haus unter Quarantäne steht, weil es viele Covid-19-Fälle gibt, scheint selbst die Sterbebegleitung untersagt worden zu sein."
Auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat sich dafür ausgesprochen, die Besuchsregelungen in den Einrichtungen zu überarbeiten. "Wir müssen in Ruhe überlegen, wie wir die Regelungen für den Besuch in Alten- und Pflegeheimen anpassen", sagte Laschet dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Mittwoch). Entscheidend sei, dass die schweren Risikogruppen länger geschützt werden. "Das ist hart, aber notwendig", betonte er. Trotzdem sei auch für ihn die Vorstellung schwer erträglich, dass zum Beispiel Eheleute, die 60 Jahre zusammengelebt haben, sich nicht sehen dürfen, wenn einer von beiden im Sterben liegt.