Wenn sich Gemeinden ihre Kirche nicht mehr leisten können

Kirchengebäude als Modell
© Benne Ochs/fStop/Getty Images
Die bayrische Landeskirche will 1000 Gebäude aufgegeben.
Wenn sich Gemeinden ihre Kirche nicht mehr leisten können
Kirchenaustritte und schrumpfende Gemeinden führen dazu, dass auch Gotteshäuser aufgegeben werden. Im Osten Bayerns zeigt sich die Entwicklung bereits deutlich. Doch die Kirchenbasis stemmt sich dagegen. Was tun ohne Orte der Identifikation?
25.04.2020
epd
Gabriele Ingenthron

Pfarrer Max Lehnert sieht nicht glücklich aus, wenn er von der Erlöserkirche in Beratzhausen (Kreis Regensburg) berichten soll. Die Heizungsanlage muss renoviert, das Dach demnächst erneuert werden. Etwa 8000 Euro pro Jahr fallen an Betriebskosten für das Gebäude an. Zur Immobiliensicherung müssten eigentlich 22.000 Euro Rücklagen gebildet werden. Das sei einfach zu viel, sagt der Pfarrer. "Unser Wunsch ist es, die Kirche zu erhalten - wir fragen uns nur, wie, und wie wir das finanzieren sollen."

Als die Erlöserkirche am 2. Oktober 1971 eingeweiht wurde, zählte die Kirchengemeinde noch 800 Mitglieder. Heute, fast 50 Jahre später, sind es nur noch 280. Die Gottesdienste werden gerade einmal von einer Handvoll Menschen besucht. Diese Fakten bescherten der Erlöserkirche die "Gelbe Ampel" bei der Einstufung durch die bayerische Landeskirche.

Bei einem 2010 initiierten Projekt zur Immobiliensicherung forderte die Landeskirche alle Kirchengemeinden auf, ihre Gebäudebestände nach Mitgliederentwicklung, künftiger Nutzung und finanziellen Rücklagen zu überprüfen. Inzwischen steht fest, dass von den 6000 Gebäuden im Bereich der bayerischen Landeskirche 300 Gebäude bereits rot markiert sind. 700 weitere Gebäude wurden gelb markiert - das heißt, sie werden in den kommenden zehn bis 20 Jahren aufgegeben, erläutert Hans-Peter Hübner vom Landeskirchenamt. Unterm Strich habe die Überprüfung ergeben, dass 17 Prozent des gesamten Gebäudebestands mittelfristig aufzugeben sind. In Ostbayern, mit seiner stellenweise extremen Diaspora, ist der Prozess derzeit wie unter einem Brennglas zu beobachten.

Für die Erlöserkirche in Beratzhausen heißt das konkret: Mit Zuschüssen durch die Landeskirche ist nicht mehr zu rechnen. Die gibt es nur noch für Kirchengebäude, "die dauerhaft zum unverzichtbaren Kernbestand gehören oder die aus besonderen Gründen unaufgebbar sind". Wenn die Kirchengemeinde Hemau, zu der die Erlöserkirche gehört, die anstehenden Kosten nicht tragen kann, muss die Kirche mittelfristig geschlossen werden. Und das in einem Ort, in dem vor fast 500 Jahren (1521) mit Unterstützung der Reformatorin Argula von Grumbach die ersten Abendmahle gefeiert wurden - lange bevor dies in Regensburg der Fall war.

"Wir werden auf Dauer nicht alle Kirchen weiter betreiben können", sagt die stellvertretende Regensburger Dekanin, Bärbel Mayer-Schärtel. Die Kirchenverwaltungsstelle verlangte deshalb, die Nutzung zu überdenken. Entweder soll die Kirche verkauft, anderweitig verwendet oder ein Kooperationspartner gefunden werden.

Im Untergeschoss der Erlöserkirche ist eine Kindertagesstätte untergebracht. Seit 2013 werden dort Kinder zwischen drei Monaten und drei Jahren auf privater Basis von drei Erzieherinnen betreut. Die Kirchengemeinde vermietet ihnen die Räumlichkeiten. Vom Kirchenvorstand wird deshalb die Gründung eines Trägervereins überlegt. Doch die Kommune hält sich mit einer Zusage im Blick auf die Kommunalwahlen zurück. Denn auch einen Kulturraum könnte der Ort gebrauchen, ein Förderverein die Finanzmittel beisteuern.

Andere Nutzungen

Fieberhaft sucht eine Projektgruppe nach tragfähigen Lösungen für die Kirche. "Ein spannender Prozess", sagt der Dekanatsentwickler Pfarrer Roland Thürmel, der den Prozess begleitet. Für ihn sind solche Entwicklungen "alles andere als das Ende der Kirche vor Ort". Beratzhausen ist für ihn ein exemplarischer Fall. "Seitdem die Kirche offen und ehrlich gesagt hat, dass sie sich das Gebäude nicht mehr leisten kann, kommen ganz unterschiedliche Leute auf die Kirchengemeinde zu mit dem Ziel, der Erlöserkirche eine Zukunft geben zu wollen." Es sind Gegenreaktionen auf einen derzeit von der Landeskirche angestrebten Konzentrationsprozess, der die Basisgemeinden viel Kraft kostet. "Das macht uns mürbe", sagt Pfarrer Lehnert.

Deutlich wird dies auch bei der Friedenskirche in Hunderdorf, die zur Kirchengemeinde Bogen gehört. Pfarrerin Susanne Kim hätte das heimelige Gotteshaus längst schließen sollen, das sei ihr von der Dekanatsverwaltung so empfohlen worden. Die Elektrik sei veraltet, die Kirche müsse über kurz oder lang renoviert werden. Alles Investitionen, die die kleine Kirchengemeinde nicht alleine stemmen kann. Im kommenden Jahr feiert die Friedenskirche ihr 60. Gründungsjahr. Inzwischen ist die Gemeinde auf 280 Mitglieder geschrumpft, Gottesdienste gibt es nur noch einmal im Monat.

Keine Patentlösungen

"Ich möchte die Kirche nur ungern schließen", sagt Pfarrerin Kim. Es sei eine "wunderschöne Kirche mit Holzdach und -decke sowie einer hervorragenden Akustik". Man könne das Gebäude gut für Besonderheiten nutzen, wie Tanz- und Bewegungsgottesdienste, schwärmt die Pfarrerin. Statt Bänke stehen in dem Gotteshaus nur Stühle, die viel Gestaltungsfreiheit ließen. 2018 habe man dort eine viel beachtete Ausstellung mit Bildern zur Bibel von Salvador Dalí präsentiert. Von Aufgeben ist deshalb vor Ort keine Rede. "Wir wollen die Kirche neu beleben", sagt Kim. Unterstützung findet sie dabei auch bei den katholischen Mitgeschwistern. Diese hätten dafür gesorgt, dass die evangelische Kirche endlich eine Ausschilderung im Touristenort erhalten habe.

Beratzhausen und Hunderdorf sind Beispiele für die vielfältigen Initiativen, bei denen es darum geht, die Kirche im Dorf zu lassen. Auch die Martin-Luther-Gemeinde in Tegernheim (Dekanat Regensburg) fragt sich, wie es mit ihrer sanierungsbedürftigen Kirche weitergehen soll. Die Kirchengemeinde Osterhofen sondiert mögliche Nutzungen für das leerstehende Pfarrhaus. Im Dekanat Weiden ist in Kirchenthumbach ein Entwicklungsprozess angestoßen worden, weil es auch hier um die Existenzfrage des Kirchengebäudes geht. In Rotthalmünster (Dekanat Passau) soll der Betsaal mit Pfarrwohnung demnächst veräußert werden. "Eine Patentlösung gibt es nicht", sagt Roland Thürmel. Jeder Fall sei individuell und müsse auch als solcher behandelt werden.

Die Kirche wird öffentlicher Raum

Regionalbischof Klaus Stiegler gibt die Linie vor, es müsse über alle Fälle "ergebnisoffen" diskutiert werden. Er nennt aber auch das Beispiel Sulzbürg. Im "Landl", dem evangelischen Herzstück des Dekanats Neumarkt, könnten sich ihm zufolge 600 Kirchenmitglieder fünf Kirchen aussuchen, in die sie sonntags gehen wollten. Alle diese Gebäude halten zu wollen, "wäre nicht verantwortlich", sagt Stiegler.

Überall dort, wo es für die Kirche als alleinigem Rechtsträger eng wird, bemühen sich die Verantwortlichen, weltliche Mitspieler ins Boot zu holen, mit der erwünschten Konsequenz, dass Kirchen mehr und mehr zu öffentlichen Räumen werden.

Ein endgültiger Schritt wäre der Verkauf der Immobilie. Dass auch das nicht immer der Weisheit letzter Schluss ist, zeigt sich an der Lukaskirche in Kelheim: Die Gulbransson-Kirche steht seit 2016 zum Verkauf. Ein Unterstützerkreis setzte in bester Absicht durch, dass die Kirche auf die Denkmalliste kam. Doch das trieb den Preis in die Höhe, so dass die Kirche bis heute auf einen Käufer wartet. Bei allen Anstrengungen wird deutlich, dass Kirchen mehr sind als Gebäude. "Sie bilden die seelische Heimat für Menschen, mit ihnen besteht eine hohe Verbundenheit", sagt Roland Thürmel.