Mönchengladbach (epd). Die Gesellschaft in Deutschland hält nach Auffassung der Sozialpsychologin Beate Küpper besser zusammen, als vielfach behauptet wird. "Es ist ein bisschen Mode geworden, über fehlenden Zusammenhalt zu klagen", sagte die Konfliktforscherin der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach dem Evangelischen Pressedienst (epd). Allerdings habe eine deutliche Polarisierung stattgefunden: Mehr Bürger setzten sich mehr denn je für eine demokratische Gesellschaft ein, zugleich wachse die Zahl der Menschen, die an demokratischen Werten zweifelten oder sie sogar ablehnten.
In Umfragen zeige sich eine erhebliche Diskrepanz: Danach äußere sich eine deutliche Mehrheit der Menschen zufrieden über Zusammenhalt, Unterstützung und Solidarität in ihrem persönlichen Umfeld. Zugleich seien die Befragten jedoch besorgt über den Zusammenhalt insgesamt. Etwa drei Viertel äußerten die Meinung, die Gesellschaft falle auseinander.
Nach Küppers Auffassung werde bei einem "bisweilen nostalgischen Blick" auf die 50er und 60er Jahre ausgeblendet, dass der angebliche Zusammenhalt in dieser Zeit bestimmte Gruppen wie etwa unverheiratete Mütter, Homosexuelle, behinderte Menschen oder Einkommensschwache weitgehend ausgeschlossen habe. Minderheiten hätten heute mehr Möglichkeiten zur Teilhabe als damals - allerdings weniger als allgemein gefordert. "Wir schauen heute kritischer hin", sagte Küpper.
Der stetig wachsende Zuspruch im wiedervereinigten Deutschland zu einer weltoffenen Gesellschaft erlebe seit vier Jahren einen "Knick". Zwar äußere sich mit 93 Prozent die große Mehrheit der Befragten positiv zu grundlegenden demokratischen Werten wie Menschenwürde und Gleichheit. Gleichzeitig verträten viele Befragten ausgrenzende Positionen wie etwa "Im nationalen Interesse können wir nicht allen die gleichen Rechte gewähren" (36 Prozent) oder "Die deutsche Gesellschaft wird durch den Islam unterwandert" (25 Prozent).
Sogar offen antidemokratische Gesinnungen würden von einem zunehmenden Teil der Bevölkerung nicht mehr kategorisch abgelehnt, erklärte die Konfliktforscherin. Der Aussage "Deutschland braucht eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert" stimmten 13 Prozent "voll", neun Prozent "überwiegend" und 13 Prozent "teils-teils" zu. Selbst der menschenfeindlichen Aussage "Es gibt wertvolles und unwertes Leben" konnten 17 Prozent der Befragten etwas Positives abgewinnen.
Diese Risse in der demokratischen Grundhaltung nutzten Rechtspopulisten wie Vertreter der AfD, indem sie versuchten, Hetze über Minderheiten gesellschaftsfähig zu machen. Küpper warnte vor einer gefährlichen Dynamik. "Das Eis der Zivilisiertheit ist dünn", wie nicht zuletzt das Ende der Weimarer Republik gezeigt habe.