Berlin (epd). Vor dem Holocaust-Gedenktag am Montag haben Politiker vor zunehmendem Antisemitismus in Deutschland gewarnt. Außenminister Heiko Maas (SPD) erklärte, man müsse "dringend gegensteuern", damit es nicht zum massiven Wegzug von Juden aus Deutschland komme. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) rief die Bundesbürger auf, ein Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen. Unterdessen zeigte sich der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, zuversichtlich, dass der Antisemitismus überwunden werden könne.
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sieht das Gedenken an den Holocaust gefährdet. "Über Jahrzehnte war es Konsens in der Bundesrepublik, dass die Erinnerung an die Schoah zur deutschen Staatsräson gehört. Doch dieser Konsens bröckelt", erklärte Schuster am Sonntag in Berlin. Am 27. Januar wird der Internationale Holocaust-Gedenktag begangen, der an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 75 Jahren erinnert.
Deutschland trage aufgrund seiner Vergangenheit eine besondere Verantwortung für die Wahrung der Menschenwürde, für eine tolerante Gesellschaft und für Israel. "Wenn wir jetzt nicht gegensteuern, könnte unsere Demokratie ernsthaft gefährdet sein", mahnte Schuster. Er sprach sich auch für verbindliche Besuche von Schulklassen in Gedenkstätten aus. "Das Entscheidende ist die Erinnerungsarbeit in der Schule und der Besuch von authentischen Orten, also den Gedenkstätten", sagte er dem in Berlin erscheinenden "Tagesspiegel" (Sonntag).
Kulturstaatsministerin Grütters sagte der Funke Mediengruppe (Montag), eine bisher schweigende Mehrheit könne zeigen, dass sie keine Judenfeindlichkeit in Deutschland dulde. "Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass an einem bestimmten Tag Menschen in Deutschland als Zeichen der Solidarität mit den jüdischen Mitbürgern einen Davidstern tragen, um auf Ausgrenzung und Antisemitismus aufmerksam zu machen", sagte die CDU-Politikerin. Die Gesellschaft müsse sich intensiver mit dem Problem des Antisemitismus auseinandersetzen.
Außenminister Maas warnte in einem Gastbeitrag für das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" vor einem "massiven Wegzug von Jüdinnen und Juden aus Deutschland": "Dass sich Menschen jüdischen Glaubens bei uns nicht mehr zu Hause fühlen, ist ein einziger Alptraum - und eine Schande." Politik müsse entschlossener handeln und mehr bewegen im Kampf gegen Antisemitismus. Die Bundesregierung werde den Kampf gegen Judenfeindschaft zu einer Priorität der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und des deutschen Vorsitzes im Europarat in der zweiten Jahreshälfte machen, kündigte der Außenminister an.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Klein, forderte eine Kombination von "repressiven und präventiven Maßnahmen" gegen den Judenhass. Nach dem Anschlag in Halle vom 9. Oktober könne niemand in Deutschland mehr die antisemitische Bedrohung verneinen. Klein will zugleich alles tun, um jüdisches Leben in Deutschland zu erhalten. "Es ist nicht nur im Interesse der jüdischen Gemeinschaft, sondern im Interesse von uns allen. Das ist Teil unserer deutschen kulturellen Identität", sagte er am Sonntag im Deutschlandfunk. Unter Jüdinnen und Juden im Lande gebe es eine "große Bereitschaft zu bleiben".
Am Montag jährt sich zum 75. Mal die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz. Allein dort wurden von den Nationalsozialisten etwa 1,1 Millionen Menschen ermordet, die allermeisten von ihnen waren Juden. Der 27. Januar wird seit 1996 in Deutschland und seit 2005 international als Gedenktag begangen.
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