In die Gestaltung des künftigen Potsdamer Garnisonkirchturms sollten nach Auffassung von Experten auch die früheren Kriegsgegner Preußens einbezogen werden. Damit könnten die damals von Preußen angegriffenen mehr als 60 Völker und Länder, darunter Frankreich und die Herero und Nama in Afrika, einen künstlerischen Kommentar zur preußischen Geschichte abgeben, sagte Steffen Schuhmann, Professor für visuelle Kommunikation an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, am Dienstag bei der Vorstellung des Konzepts in Potsdam.
Eine solche Gestaltung wäre ein "sichtbares Zeichen der Versöhnung", sagte der Architekturexperte und frühere Leiter der Dessauer Bauhaus-Stiftung, Philipp Oswalt. Damit könne der "militärischen Triumphgeste" der historischen Fassade der Kirche ein neuer Inhalt entgegengesetzt werden. Ziel sei die Ausschreibung eines klassischen Kunst-am-Bau-Wettbewerbs, sagte Schuhmann. Damit werde dann "zurückgestaltet, nicht zurückgeschossen".
Der frühere Standort der preußischen Militärkirche müsse zum Ort der kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte werden, betonte Oswalt. Dafür müsse auf der Freifläche hinter dem neuen Garnisonkirchturm statt eines historisierenden Kirchenschiffs ein modernes Ausstellungsgebäude errichtet werden. Dort sollten auf zwei Stockwerken rund 1.000 Quadratmeter Fläche zur Verfügung stehen.
Für einen solchen Lernort werde eine weit größere Fläche benötigt, als die derzeit im Turm geplanten Ausstellungsräume, sagte Oswalt. Um einen Bruch mit der Geschichte der früheren Militärkirche zu vollziehen, müsse zudem das in unmittelbarer Nähe errichtete DDR-Rechenzentrum erhalten werden, das derzeit von Künstlern genutzt wird. Am historischen Standort der Garnisonkirche müssten "Bau und Gegenbau" mit dem zusätzlichen Lernort zu einem neuen Ensemble vereint werden.
In dem Konzept übernimmt das DDR-Gebäude architektonisch die Rolle des Kirchenschiffs. Vor der Fertigstellung des Turms müsse zudem der Lernort errichtet werden, forderte Oswalt. Die Gelder, die derzeit in den Turmbau fließen, müssten deshalb umgelenkt werden. In der Architektur und in den Inhalten von Turm und Lernort müsse ein "doppelter Bruch" mit der Geschichte vollzogen werden.
Auch der evangelische Kirchenkreis spricht sich gegen ein Kirchenschiff nach historischem Vorbild aus. "Einen historisierenden Wiederaufbau des ehemaligen Kirchenschiffes kann sich der Kreiskirchenrat nicht vorstellen", heißt es in einer Stellungnahme für die Anhörung der Stadtverordnetenversammlung am Freitagabend, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt.
Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) hatte vorgeschlagen, auf dem Grundstück eine internationale Jugendbegegnungsstätte für Bildung und Demokratie zu errichten. Der Vorschlag ist ein Thema der Anhörung.
Die Garnisonkirche wurde 1945 bei einem Luftangriff im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört und 1968 in der DDR abgerissen. Seit 2017 wird ein Nachbau des Turms errichtet. Das Bauprojekt ist vor allem wegen der Geschichte der preußischen Militärkirche umstritten.