Historikerin: NS-Zeit als Alltagsgeschichte greifbar machen

Historikerin: NS-Zeit als Alltagsgeschichte greifbar machen
Viele Jugendliche lehnen es ab, sich noch mit der NS-Zeit zu befassen. Die Historikerin und Slawistin Gabriele Woidelko führt das auf Form und Inhalte der Wissensvermittlung zurück.
19.01.2020
epd
epd-Gespräch: Dirk Baas

Wolle man das Interesse junger Menschen an der NS-Zeit wecken, dann müsse "man den Alltag und die Lebensläufe derjenigen in den Blick nehmen, die vor Ort und in unmittelbarer Nachbarschaft vom Nationalsozialismus betroffen beziehungsweise in ihn verstrickt waren", sagte Woidelko dem Evangelischen Pressedienst (epd). So lasse sich die Geschichte auf direkte Weise greifbar machen.

Die Abteilungsleiterin der Körber-Stiftung verwies auf eine Umfrage aus dem Jahr 2017. Danach wussten nur 59 Prozent der Schülerinnen und Schüler über 14 Jahre, dass Auschwitz-Birkenau ein Konzentrations- und Vernichtungslager war. Das sei "ein erschreckend niedriger Anteil", sagte Woidelko.

Die Arbeit der Körber-Stiftung mit Jugendlichen in Deutschland und Europa zeige aber immer wieder, dass das Interesse Jugendlicher an Geschichte groß sein kann. "Begeisterungsfähig sind sie immer dann, wenn sie verstehen, was die Vergangenheit mit ihnen und ihrem Lebensumfeld zu tun hat." Das heiße, je konkreter die Vergangenheit in der eigenen Familie oder an ihrem Lebensmittelpunkt greifbar werde, desto höher sei die Bereitschaft, mehr wissen und verstehen zu wollen.

Auseinandersetzung mit Biografien

"Unserer Erfahrung nach bieten die Auseinandersetzung mit konkreten Biografien und Auswirkungen der NS-Geschichte vor Ort gute Anknüpfungspunkte, um eine tatsächliche oder gefühlte Ablehnung junger Menschen gegenüber der Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte zu überwinden", so die Expertin. Dabei gehe es nicht unbedingt nur um die Lebenswege bekannter Opfer und Täter des Nationalsozialismus.

Der Schlüssel zum Erfolg liegt nach ihrer Ansicht im alltagsgeschichtlichen und somit lebensweltnahen Zugang - und in der Methode des forschend-entdeckenden Lernens. "Wenn junge Menschen die Gelegenheit erhalten, selbst aktiv zu werden und sich im Rahmen von eigenständiger Projektarbeit mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, dann wird nicht nur die Geschichte interessant für sie, sondern sie leiten aus der Vergangenheit auch Fragen an ihre eigene Gegenwart ab."

Ob verpflichtende Gedenkstättenbesuche, wie sie zuletzt Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) gefordert hatte, hilfreich sind, hänge davon ab, "wie diese Besuche ablaufen und wie sie vor- und nachbereitet werden". Sicherlich seien sie aber nicht der alleinige Weg zum Ziel. Aber: "Dass die Bundesregierung Maßnahmen ergreifen will, um die Geschichte des Nationalsozialismus möglichst verbindlich an alle jungen Menschen zu vermitteln, ist aus meiner Sicht gut nachvollziehbar."