"Wenn alle ankommen sollen, bestimmt der Schwächste in der Herde das Tempo", sagt Günther Czerkus. Der Psalm 23 hat für den Berufsschäfer besonderes Gewicht. Czerkus ist evangelisch, aber kein Kirchgänger. Für seinen Glauben ist das nicht maßgeblich: "Ich fühle mich durchaus umgeben von Kräften, die weitaus größer sind als ich." Das habe sicher auch mit den Erlebnissen mit seinen Tieren zu tun. "Wenn ich Schwielen am Hintern habe vom vielen Sitzen am Schreibtisch und ich dann rausgehe zu den Schafen, bin ich auf einem komplett anderen Planeten, fühle mich geerdet." Czerkus glaubt: "Wenn wir dieses Gefühl, diesen Luxus nicht hätten, dann gäbe es schon lange keine Schäfer mehr."
Denn rein wirtschaftlich gesehen könne man dem Beruf nichts abgewinnen: 25.000 Euro Nettojahreseinkommen bei 365 Tagen im Jahr Arbeit. Kein Tag unter zehn Stunden. "Bei Hartz IV habe ich mehr raus". Rund 990 Berufsschäfer gibt es noch in Deutschland. 56 Jahre alt sind diese im Schnitt. Was auch heißt. In den nächsten Jahren hört die Hälfte der Betriebe auf.
Auswirkungen auf die Umwelt
Das habe Folgen für das Aussehen der Landschaft, sagt Czerkus: Schafe beweiden in Deutschland rund 300.000 Hektar Grünland auf sogenannten Grenzertragsstandorten. Diese Flächen könnten nicht oder nur schlecht mit Maschinen gemäht oder anders bearbeitet werden, sagt der Schäfer, der sich als Vorsitzender des Bundesverbands Berufsschäfer für seine Kollegen starkmacht. Auf den dann künftig wegfallenden 150.000 Hektar Land wachsen ohne Beweidung Büsche und Bäume. Für die Klimabilanz und die Bodenfestigkeit sei aber Wiese deutlich besser. Nicht umsonst seien Deiche mit Wiese bepflanzt, sagt Czerkus. Außerdem gingen gewachsene Kulturlandschaften wie etwa die Heide verloren. Die Wiese sei außerdem artenreicher, verbessere das Grundwasser. Die Schafe wiederum, die niemand mehr hütet, müssten dann geschlachtet werden. Das wird auch bei Czerkus so sein, der in ein, zwei Jahren aufhören möchte.
Vor knapp 40 Jahren, 1980, kaufte er sich seine ersten drei Schafe, "Da nahm das Unheil seinen Lauf", sagt er und lacht. Die Tiere vermehrten sich, Czerkus machte eine Umschulung zum Tierwart und wurde Schäfer. Regelmäßig hält er als Verbandsvorsitzender Kontakt zu den wenigen verbliebenen Berufskollegen - per Telefonkonferenz. "Das Handy ist eine enorme Erleichterung", sagt er. Schnell könnten sich die Schäfer verständigen, welcher Händler gerade welche Preise für Fleisch oder Wolle zahlt.
Und der Schäfer ist nicht nur Fleisch- und Wollproduzent sowie Landschaftspfleger. Das Geerdetsein mit den Tieren zieht die Menschen an. "Ich mache ein bisschen Jugendarbeit", sagt Czerkus. Jugendliche kommen einzeln oder in Gruppen, kümmern sich um die Tiere. "Oft ist deren Leben ja von vorne bis hinten kontrolliert", sagt er. Hier hätten sie "Freiräume zum Selbstfüllen." Czerkus hatte auch schon IT-Spezialisten von Wertpapierbanken aus dem nahen Luxemburg bei sich in der Eifel zu Gast. Zwei Geldhäuser hatten damals fusioniert, ein Teamtraining sollte die Angestellten zusammenschweißen. Ihre Aufgabe: Eine Schafherde von A nach B zu bringen, was nach anfänglichen Mühen gelang. Die Arbeit mit den Tieren habe bei den Teilnehmern etwas über das Gefühl des Erfolg hinaus ausgelöst. Die einhellige Meinung: "Gerne wieder, nur dann mit Übernachtung im Zelt statt im Hotel", erzählt der Schäfer.
Nun steht der Heiligabend an. Und Czerkus wird bis in die Nacht hinein dort sein, wo die Hirten vor Tausenden Jahren auch waren - auf dem Feld. "Wir haben da Lammzeit. Wenn die Schafe so lammen, wie sie im Juli gebockt haben, bekommen wir viele Weihnachtsgeschenke auf einmal." Vor 15 Jahren waren es in 48 Stunden über 200 Geburten, erinnert er sich. "Da braucht man nicht an Schlafen, Feiern oder auch nur Duschen zu denken."