Gießen (epd). Wegen Verstoßes gegen das Werbeverbot für Abtreibungen ist die Gießener Ärztin Kristina Hänel erneut verteilt worden. Das Landgericht Gießen verwarf am Donnerstag Hänels Berufung, milderte das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts aber ab und verurteilte sie zu einer Geldstrafe von 2.500 Euro. (AZ 4 Ns - 406 Js 15031/15). Die Medizinerin kündigte anschließend an, Revision beim Oberlandesgericht Frankfurt einzulegen.
Die Vorsitzende Richterin Regine Enders-Kunze äußerte in der Urteilsbegründung Bedenken gegen den reformierten Paragrafen 219a. Die Reform sei nicht gelungen, sie sei im "Schnellstrickverfahren" entstanden und widersprüchlich. Hänels Anwalt hatte zuvor in seinem Plädoyer gefordert, den Fall dem Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen.
Hänel war im November 2017 vom Amtsgericht Gießen zu 6.000 Euro Geldstrafe verurteilt worden. Das Landgericht verhandelte bereits zum zweiten Mal über den Fall: Vor gut einem Jahr hatte es das Amtsgerichtsurteil gegen Hänel bestätigt. Die Ärztin legte daraufhin Revision beim Oberlandesgericht Frankfurt ein. Dieses verwies im Frühjahr die Auseinandersetzung um den Strafrechtsparagrafen 219a an das Landgericht zurück, weil seit einer Gesetzesänderung eine neue Fassung gilt.
Nach bundesweiten Protesten und einer langen politischen Debatte hatte der Bundestag im Februar eine Lockerung des 219a beschlossen: Ärzte dürfen nun darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, aber weiterhin nicht darüber, welche Methoden sie anwenden. Der neu formulierte Paragraf 219a verbietet Werbung für Abtreibungen aus finanziellem Eigeninteresse oder "in grob anstößiger Weise".
Die Frage gehöre vor ein "oberstes Gericht", sagte Hänels Anwalt Karlheinz Merkel. Es liefen in Deutschland aufgrund des 219a mehr als 100 Ermittlungsverfahren. Es gebe eine "aufgeladene, ideologische Sicht auf die Dinge", sagte der Anwalt.
Das Gericht begutachtete die Informationen, die Hänel im Jahr 2015, als sie angezeigt wurde, auf ihrer Internetseite zur Verfügung gestellt hatte. Sie habe den Frauen eine medizinische Aufklärung ermöglichen wollen, "damit sie sich vorbereiten können", erklärte Hänel. Auch derzeit informiert sie auf der Internetseite ihrer Praxis ausführlich über Schwangerschaftsabbrüche. "Ich habe nicht vor, die Informationen von meiner Homepage zu nehmen", sagte Hänel vor Gericht. Bereits mehrfach hat sie betont, bis vor das Bundesverfassungsgericht gehen zu wollen.
In ihrem Schlusswort schilderte Hänel den Fall einer 30-jährigen Frau, die sich an sie gewendet hat. Sie sei 22 Jahre lang Opfer von sexueller Gewalt und Folter und fünfmal schwanger gewesen. Im Internet fand sie bei Frauenärzten keine Informationen und stieß bei der Suche nur auf sogenannte "Babycaust"-Seiten radikaler Abtreibungsgegner. "Die Verhinderung von Informationen ist eine Gefahr für Leib und Leben der Frau", sagte Hänel. Sie bekomme Anfragen aus ganz Deutschland, weil Frauen anderswo die Informationen nicht erhielten.
Vor Prozessbeginn hielten rund 80 Unterstützer Hänels eine Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude ab. Sie trugen Plakate mit Aufschriften wie "219a nicht zeitgemäß" und "Frauenrechte sind Menschenrechte" bei sich.
Abtreibungen sind in Deutschland illegal, aber straffrei. Seit 1995 gilt die sogenannte Beratungsregelung, nach der ein Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen straffrei bleibt, wenn die Schwangere eine Beratung in Anspruch genommen hat. Die Zahl der Abtreibungen ist seit einigen Jahren auf einem gleichbleibenden Niveau. 2018 gab es nach Angaben des Statistischen Bundesamts knapp 101.000 Schwangerschaftsabbrüche bei rund 787.500 Geburten. Die meisten Abtreibungen werden nach der Beratungsregelung vorgenommen, 2018 waren das 97.151.