Berlin (epd). Die Zahl der von Genitalverstümmelung betroffenen Mädchen und Frauen in Deutschland ist nach einer Studie von "Terre des Femmes" weiter gestiegen. In ihrer am Donnerstag in Berlin vorgestellten "Dunkelzifferstatistik" geht die Frauenorganisation von mindestens rund 70.000 Betroffenen aus. Dies sei ein Anstieg um acht Prozent gegenüber dem Vorjahr und um 44 Prozent seit 2016. Die meisten betroffenen Frauen oder Mädchen stammen laut Statistik aus Eritrea, Somalia, Indonesien, Ägypten und Äthiopien.
Laut Statistik sind außerdem rund 17.700 Mädchen und Frauen in Deutschland in Gefahr, Opfer einer Genitalverstümmelung im Ausland zu werden. "Der Handlungsbedarf ist enorm, um gefährdete Mädchen zu schützen", sagte die Bundesgeschäftsführerin von "Terre des Femmes", Christa Stolle, bei der Vorstellung der Statistik. Weibliche Genitalverstümmelung werde international als Menschenrechtsverletzung und Kindermisshandlung bewertet.
In Deutschland ist laut "Terre des Femmes" noch kein Fall von weiblicher Genitalverstümmelung bekannt geworden. Hingegen gebe es "innereuropäische Beschneidungsreisen" von Familien etwa nach Frankreich. Im Rahmen des EU-geförderten Projektes "Let's Change" bildet "Terre des Femmes" sogenannte Change-Agents aus, die in den betroffenen Einwanderercommunities Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit leisten. Außerdem werden Fachkräfte aus sozialen und medizinischen Berufen zu der Thematik geschult.
Besonders gefährdet, Opfer von Genitalverstümmelung zu werden, seien Mädchen im Alter zwischen null und 15 Jahren, sagte Charlotte Weil, Fachreferentin bei "Terre des Femmes". Die Zahlen von "Terre des Femmes" beruhen auf Schätzungen, basierend vor allem auf Erhebungen der Weltgesundheitsorganisation, des Kinderhilfswerkes der Vereinten Nationen sowie auf der Ausländerstatistik des Statistischen Bundesamtes. Laut einer Erhebung des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2009 leben in Europa rund 500.000 am Genital verstümmelte Mädchen und Frauen. Aktuellere Zahlen gebe es nicht, so Weil.
Bei der Genitalverstümmelung werden Klitoris oder Schamlippen teilweise oder vollständig entfernt - oft ohne Narkose und mit einfachen Hilfsmitteln wie Glasscherben oder Rasierklingen. Die betroffenen Frauen und Mädchen leiden häufig lebenslang unter den Folgen, etwa durch Infektionen, Blutungen und Komplikationen bei der Geburt. Viele sterben daran. Laut "Terre des Femmes" gibt es zunehmend Fälle, gerade in Indonesien, aber auch in Ägypten, in denen Verstümmelungen unter Aufsicht von Krankenpflegerinnen oder Ärzten vollzogen werden.
Laut Weltgesundheitsorganisation gibt es keinerlei medizinische Rechtfertigung für die Verstümmelung. Sie soll nach traditionellem Verständnis dazu dienen, die Sexualität der Frauen zu kontrollieren - und damit ihre Heiratschancen zu steigern. In Deutschland ist Genitalverstümmelung ein Straftatbestand und kann mit einer Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden.