Gießen (epd). Der Holocaustliteraturforscher Sascha Feuchert hält Pflichtbesuche in Gedenkstätten für falsch. "Alles, was Pflicht ist, erzeugt auch Abwehr", sagte Feuchert dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auch sehe er die Gefahr, dass Gedenkstätten überfordert werden: "Sie können nicht alleine Dinge lösen, die gesamtgesellschaftlich falsch laufen", erklärte der Professor für Holocaustliteratur an der Universität Gießen. Am Donnerstag hatte sich der hessische Landtagspräsident Boris Rhein (CDU) in Auschwitz für verpflichtende Besuche von Schülern in KZ-Gedenkstätten ausgesprochen.
Feuchert forderte stattdessen, mehr in die Ausbildung von Lehrern zu investieren, die später Schüler bei Besuchen in Auschwitz oder Buchenwald begleiten sollen. An der Universität Gießen würden beispielweise Teamer für die Gedenkstättenarbeit ausgebildet. "Wir haben ein Riesen-Potenzial an jungen Leuten, die man entsprechend ausbilden kann. Darunter sind auch viele Studenten aus Familien mit Migrationshintergrund", sagte er. Die Anforderungen hätten sich verändert: Es gebe mittlerweile deutlich mehr Schüler, deren Familiengeschichte nichts mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust zu tun hat.
Allerdings müsse für die gezielte Ausbildung von Lehramtsstudenten mehr Geld bereitgestellt werden. Ausbildungsfahrten in Gedenkstätten für Studenten müssten derzeit aus unterschiedlichen Töpfen zusammengestückelt werden. Zudem brauche es anschließend im Schulunterricht Zeit für die Vor- und Nachbereitung der Gedenkstätten-Besuche.
Bald werde es keine Holocaust-Überlebenden mehr geben, die ihre Geschichte erzählen können, erklärte Feuchert. Holocaustliteratur werde daher wichtiger. Schüler könnten gerade die frühen Texte der Überlebenden nach 1945 sehr gut verstehen: "Die Autoren versuchten einer ignoranten Welt zu erklären, was passiert ist und hatten den ahnungslosen Leser vor Augen." Für eine Erstbegegnung mit dem Thema Holocaust seien jedoch neuere literarische Texte wichtig, gerade auch aus der Kinder- und Jugendliteratur, weil die frühen Texte "sehr drastisch sind".
In den USA experimentieren Museen laut Feuchert zudem mit Hologrammen, um die Erinnerung an die Schrecken der NS-Zeit wachzuhalten. Dabei erscheinen Zeitzeugen als virtuelles, dreidimensionales Abbild ihrer selbst; echte Menschen können ihnen Fragen stellen. Die Hologramme werden so programmiert, dass sie spontan antworten - die Antworten ergeben sich aus den Interviews, die Zeitzeugen zu ihren Lebzeiten gegeben haben.