Frankfurt a.M. (epd). Seit fast drei Wochen leben die Flüchtlinge auf engstem Raum an Deck der "Open Arms", jetzt gerät die Situation außer Kontrolle: Am Dienstag sprangen immer wieder Flüchtlinge von dem vor Lampedusa ankernden Schiff, um schwimmend Europa zu erreichen. Mitarbeiter des Rettungsteams und die italienische Küstenwacht versuchten, die Menschen aus dem Wasser zu holen. Die Crew twitterte: "Die Situation ist außer Kontrolle."
Bereits in der Nacht hatte die italienische Küstenwacht acht Flüchtlinge und einen Mitarbeiter aus medizinischen Gründen an Land gebracht. Am Morgen sprang ein Flüchtling "in Panik" ins Wasser, wie die Crew schrieb. Er habe sich geweigert zurück aufs Schiff zu gehen und sei in ein Krankenhaus gekommen. Im Laufe des Tages sprangen den Angaben zufolge weitere elf Flüchtlinge von Bord; fünf von ihnen wurden von der italienischen Küstenwacht an Land versorgt. Fotos und Filme vom Deck des Schiffs zeigen aufgebrachte und kollabierte Flüchtlinge.
Der Sondergesandte des UN-Menschenrechtskommissariats für das Mittelmeer, Vincent Cochetel, verlangte, die "Open Arms" müsse sofort in den nächstgelegenen Hafen einlaufen. Das sei ein "humanitärer Imperativ" und eine Verpflichtung des internationalen Seerechts.
"Open Arms"-Direktor Oscar Camps bekräftigte, dass das Schiff nicht mehr eine Drei-Tage-Reise zu den Balearen antreten könne. Die Psychologen an Bord hätten eindringlich davor gewarnt, mit den Flüchtlingen erneut aufs offene Meer zu fahren. Spanien hatte am Vortag dem Schiff erlaubt, einen Hafen auf Menorca oder Mallorca anzusteuern.
Inzwischen teilte die spanische Regierung mit, sie wolle das Marineschiff "Audaz" vom andalusischen Cadiz aus entsenden, um die Flüchtlingsschiff "Open Arms" nach Palma de Mallorca zu geleiten. Demnach soll die "Audaz" noch am Dienstag auslaufen. Allerdings benötigt das Marineboot drei Tage, bis es die "Open Arms" erreicht.
Spaniens Verteidigungsministerin Margarita Robles griff im nationalen Rundfunk RNE Italiens Innenminister Matteo Salvini scharf an. Sie warf ihm vor, ein Menschenleben sei für ihn im Wahlkampf nichts wert. Zugleich wies sie die Forderung von Italiens Transportminister Danilo Toninelli zurück, der "Open Arms" die spanische Flagge zu entziehen, damit das Schiff nicht mehr zu einem Rettungseinsatz im Mittelmeer aufbrechen könne. Allerdings hatte Spanien selbst der "Open Arms" fast ein halbes Jahr das Auslaufen aus dem Hafen von Barcelona verboten.
Salvini verteidigte seine Haltung auf Facebook: Er sei überzeugt, dass er mit seinem Nein zum Anlanden die Meinung der Mehrheit der Italiener treffe. Er sei "stolz" darauf, was er bisher unternommen habe, "um die Grenzen und die Sicherheit meines Landes zu verteidigen."
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) telefonierte unterdessen mit seinem italienischen Amtskollegen Enzo Moavera. Beide seien sich über die Dringlichkeit einer europäischen Lösung einig, diese müsse für alle Mitgliedsstaaten fair und umsetzbar sein, teilte das Auswärtige Amt mit. Das Thema steht auf der Tagesordnung des EU-Außenminister-Treffens am 29. und 30. August in Helsinki. "Ziel muss es sein, möglichst rasch eine europäische Lösung zu finden, die auf Solidarität und geteilter Verantwortung beruht", sagte Maas.
Die "Open Arms" hatte am 1. August 123 Flüchtlinge und später noch einmal 39 Menschen aus Seenot gerettet. Italien nahm zunächst Schwangere und Kranke, später unbegleitete Minderjährige von Bord.
Auch die Crew der unter norwegischer Flagge fahrenden "Ocean Viking" von "Ärzte ohne Grenzen" und SOS Méditerranée zeigte sich besorgt über die Lage auf der "Open Arms". Die anhaltend ungewisse Situation an Bord könne schwere physische und psychische Folgen für die Geretteten haben, schrieben die Mediziner auf Twitter. Die "Ocean Viking" sucht mit 356 Flüchtlingen einen sicheren Hafen.