Berlin (epd). Das Berliner Verwaltungsgericht hat die Klage eines Mädchens auf Zulassung zum Staats- und Domchor in Berlin abgewiesen. Mit Blick auf den spezifischen Klang eines reinen Knabenchores dürften Mädchen abgelehnt werden, wenn ihre Stimmen nicht dem geforderten Klangbild entsprächen, urteilte das Gericht am Freitag. Eine Ungleichbehandlung sei in diesem Fall zulässig. Das Recht auf Kunstfreiheit aus Artikel 5 Grundgesetz überwiege hier das Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts aus Artikel 3, Absatz 3. (VG 3 K 113.19)
Zugleich verwies Richter Jens Tegtmeier wegen der grundlegenden Bedeutung des Falles darauf, dass die unterlegene Seite in Berufung gehen könne. Die Abwägung zwischen beiden Grundrechten bedürfe der vertieften Betrachtung, sagte der Richter.
Geklagt hatte eine Neunjährige, die vom Berliner Staats- und Domchor der Universität der Künste (UdK) nach einem Vorsingen in diesem Frühjahr abgelehnt worden war. Bei dem Ensemble handelt es sich um einen reinen Knabenchor und zugleich um die älteste musikalische Einrichtung der Hauptstadt. Derzeit werden im Staats- und Domchor Berlin laut Homepage rund 250 Knaben- und über 75 junge Männerstimmen in elf Ensembles ausgebildet.
In einer rund dreistündigen mündlichen Verhandlung hatte die Anwältin und Mutter der Klägerin, Susann Bräcklein, unter anderem darauf verwiesen, dass die Universität als öffentliche Einrichtung den diskriminierungsfreien Zugang zur musikalischen Ausbildung gewährleisten müsse. Die Ablehnung des Mädchens sei nicht aus fachlichen Gründen erfolgt. Unter anderem verwies sie dabei auf ein Schreiben der Fachbereichsleitung der UdK, in der es hieß: "Ihr Wunsch ist aussichtslos. Niemals wird ein Mädchen in einem Knabenchor singen."
Die UdK erklärte dagegen, dass die Nichtaufnahme des Mädchens nicht in erster Linie auf ihr Geschlecht, sondern auf mangelnde Eignung zurückzuführen sei. Der Direktor des Staats- und Domchores, Kai-Uwe Jirka, verwies vor Gericht auf die besondere Klangfarbe von Knabenchören. Grund seien unter anderem anatomische Unterschiede von Jungs gegenüber Mädchen. Dies betrifft Experten zufolge vor der Pubertät etwa die Größe des Kehlkopfes und die Stimmmuskulatur bei Jungs. Deshalb entwickelten Mädchen- und Jungenstimmen unterschiedliche Klangräume. Die UdK sieht die hierauf zurückzuführende häufigere Ablehnung von Mädchen durch die Kunstfreiheit gerechtfertigt. Mädchen ist bislang der mit dem Domchor kooperierende Mädchenchor der Singakademie zu Berlin vorbehalten.
Jirka betonte in der Verhandlung, "wir hören jedes Kind an, das sich bei uns bewirbt". Sollte eine Bewerberin den Klang eines Knabenchores erzielen, stünde ihr das Ensemble offen.
Laut Gericht hat das bald zehnjährige Mädchen aufgrund seines vergleichsweise fortgeschrittenen Alters auch keinen Anspruch auf eine Ausbildung am Staats- und Domchor der Universität der Künste, um den spezifischen Klang eines Knabenchores zu erlernen. Sie hatte sich für den sogenannten Konzertchor beworben, in dem Jungs ab neun Jahre singen. Rechtsanwältin Bräcklein hatte zuvor unter Verweis auf Musikwissenschaftler erklärt, nicht der spezifische Klang einer Jungenstimme, sondern eine entsprechende Ausbildung und das Repertoire an Musikstücken führe zu dem spezifischen Klang.
In der Erörterung der Besonderheit von Knabenchören und insbesondere des Staats- und Domchores bezeichnete Richter Tegtmeier die einseitig auf Jungs abstellende Satzung des Ensembles aus dem Jahr 1923 für "zeitlich überholt". In jenem Jahr wurde der ehemals königliche Hofchor der Hochschule für Musik, der späteren UdK, angegliedert. Der reine Knabenchor geht auf einen 1465 von Kurfürst Friedrich II. von Brandenburg gegründeten Chor zurück.
Laut Gericht handelte es sich um den ersten Versuch eines Mädchens, in den renommierten Berliner Chor aufgenommen zu werden. Berühmte Knabenchöre sind auch die Wiener Sängerknaben, die Regensburger Domspatzen, die Thomaner in Leipzig, der Dresdner Kreuzchor und der Tölzer Knabenchor.