Berlin (epd). Nach der Festsetzung ihrer Kapitänin und ihres Schiffs hat die Seenot-Rettungsorganisation Sea-Watch der Bundesregierung und EU schwere Vorwürfe gemacht. Es sei inzwischen fast ein Jahr her, dass Italiens Innenminister Matteo Salvini erstmals einem Rettungsschiff die Einfahrt in einen Hafen verweigert hatte, sagte "Sea-Watch"-Sprecher Ruben Neugebauer am Dienstag in Berlin. Seitdem hätten Bundesregierung und EU eine Lösung finden können. Dies sei aber nicht geschehen. Wie es im Fall der unter Hausarrest genommenen Kapitänin Carola Rackete weitergeht, war bis Dienstagnachmittag noch unklar.
Rackete war mit der "Sea-Watch 3" in der Nacht zu Sonntag ohne Erlaubnis in den Hafen von Lampedusa eingefahren. Mehr als zwei Wochen wartete das Schiff mit ursprünglich 53 aus Seenot geretteten Menschen an Bord auf die Zusage, in einen sicheren Hafen einfahren zu können. Nach zwei Evakuierungen für medizinische Notfälle gingen am Wochenende nach der Landung in Lampedusa 40 Migranten an Land. Rackete wurde festgenommen, Teile der 22-köpfigen Crew kümmern sich nach Angaben von Sea-Watch weiter um das beschlagnahmte Schiff, das am Dienstag in den Hafen von Licata gebracht werden sollte.
Sea-Watch verteidigte die Entscheidung von Rackete, ohne Erlaubnis die Geretteten an Land zu bringen. Sie habe am Ende keine andere Möglichkeit gehabt, als vom Nothafenrecht Gebrauch zu machen, sagte die Organisationsmitarbeiterin Marie Naaß.
In Deutschland gab es eine Welle der Solidarität mit Rackete. Am Dienstag verteidigte der Verband Deutscher Kapitäne und Schiffsoffiziere die Aktivitäten ziviler Seenotretter. In Köln demonstrierten rund 200 Menschen vor dem italienischen Generalkonsulat für die Freilassung der Kapitänin. Die Organisation "Seebrücke" rief für Samstag zu Demonstrationen für sichere Fluchtwege in rund 20 Städten bundesweit auf.
Der italienische Innenminister Matteo Salvini forderte die Justiz indes zu einem strengen Vorgehen gegenüber Rackete auf. Wer das Leben italienischer Soldaten angreife und wiederholt gegen die Gesetze des Landes verstoße, verdiene harte Strafen, betonte er auf Twitter. "Wir sind jedenfalls bereit, die deutsche Kriminelle auszuweisen", erklärte er. Die Staatsanwaltschaft Agrigent wirft der Kapitänin vor, gegen Anweisungen eines Kriegsschiffs gehandelt zu haben und ohne Genehmigung in italienische Gewässer eingefahren zu sein.
Überdies soll sie beim eigenmächtigen Anlegen im Hafen von Lampedusa am vergangenen Freitag ein Boot der italienischen Finanzpolizei abgedrängt und dabei das Leben der Besatzung gefährdet haben. Der evangelische Militärbischof Sigurd Rink forderte, Rackete unter Auflagen auf freien Fuß zu setzen, damit sie sich dann einem gerichtlichen Verfahren stellen kann. In einer Mitteilung verglich er den Fall mit dem des "Lifeline"-Kapitäns Claus-Peter Reisch, der in Malta nach einer Rettungsaktion zu einer Geldstrafe verurteilt worden war.
Die Vereinten Nationen warnten vor einer Kriminalisierung der Seenotrettung. Die Rettung von Schiffbrüchigen sei ein humanitärer Imperativ und müsse unbedingt beibehalten werden, sagte eine Sprecherin des Flüchtlingshilfswerks UNHCR dem epd. Nach Angaben des Hilfswerks steigen die Risiken bei Fluchten über das Mittelmeer. In diesem Jahr sei bereits jeder 45. Mensch bei der Überfahrt gestorben, sagte Dominik Bartsch, UNHCR-Repräsentant in Deutschland, der "Rheinischen Post" (Dienstag). Insgesamt ertranken laut Bartsch im vergangenen Jahr 2.277 Menschen auf der Mittelmeer-Route, in diesem Jahr waren es bereits 584. Seit 2015 starben 14.867 Frauen, Männer und Kinder bei der Fahrt über das Mittelmeer.
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