Dortmund (epd). Altbundespräsident Christian Wulff hat dazu aufgerufen, die gesellschaftliche und religiöse Vielfalt in Deutschland zu verteidigen. "Wir brauchen ein viel vehementeres Eintreten gegen all die Pessimisten, die Angstmacher, die Fake-News-Erzeuger und die Apokalyptiker", sagte Wulff am Samstag auf dem evangelischen Kirchentag in Dortmund. "Unsere Gesellschaft könnte viel selbstverständlicher allen eine Heimat geben, die hier leben, auch eine emotionale Heimat. Das Gegenteil führt zur Spaltung."
Der "Flüchtlingsansturm" von 2015 ist nach Worten des früheren Bundespräsidenten eine große Chance und könnte zu einem "Glücksfall der Geschichte" werden. Die Deutungshoheit über dieses Ereignis sei jedoch an die Rechtspopulisten verloren worden, die Angst verbreiten wollten. Diese Hoheit müsse zurückgewonnen werden, "wir sind doch mehr", sagte Wulff.
Grundlage des Zusammenlebens muss nach Ansicht des CDU-Politikers sein, dass alle das Grundgesetz und die darin festgeschriebenen Werte achten. Dazu gehörten die Meinungsfreiheit, die Glaubens- und Gewissensfreiheit und die Gleichberechtigung von Mann und Frau. "Wer das nicht tut, wer unser Land und seine Werte verachtet, muss mit entschlossener Gegenwehr rechnen", betonte Wulff. Das gelte für islamische Fundamentalisten ebenso wie für rechts- oder linksgerichtete Extremisten.
"Das Miteinander von Kirchen, Synagogen und Moscheen klappt in Deutschland eigentlich recht gut", unterstrich Wulff in einer Diskussion zum Thema "Wie viel Religion verträgt unsere Gesellschaft?" Es dürfe nicht zu einem "Kulturenkampf Christen gegen Muslime" kommen, den Rechtspopulisten anstacheln wollten. Seinen Satz von 2010, dass neben Christentum und Judentum inzwischen auch der Islam zu Deutschland gehöre, würde er heute "noch viel vehementer" sagen.
Auch die Auslandsbischöfin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Petra Bosse-Huber, verwies auf die Selbstverständlichkeit islamischen Lebens hierzulande. "Die Idee, dass es in den letzten Jahrzehnten ein Deutschland ohne Islam gegeben hätte, ist eine Fiktion", sagte die Theologin. Die Akzeptanz muslimischen Lebens sei jedoch dadurch gesunken, dass "billige rechtspopulistische Propaganda" Anschläge von Fundamentalisten pauschal den Muslimen zuschreibe. Auch hier müsse die Interpretationshoheit wiedergewonnen werden, dabei spielten die Kirchen eine wichtige Rolle.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, warb dafür, Muslime "als selbstverständlichen Teil Deutschlands wahrzunehmen, mit allen Rechten und Pflichten". "Der Feind der Demokratie steht heute rechts", sagte Mazyek. Rechtspopulisten setzten auf die Trägheit der Massen. Die allermeisten Deutschen wollten jedoch ein Land erhalten, in dem Vielfalt, Demokratie, Offenheit und Respekt wichtig seien. "Wir müssen aber auch bereit sein, dafür einzustehen", forderte Mazyek. "Wir müssen aufstehen und demonstrieren."
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