Dortmund (epd). Experten haben auf dem Kirchentag in Dortmund massive Defizite für weiterarbeitende Rentnerinnen und Rentner in den Firmen beklagt. Weder die Unternehmen noch die Sozialpolitik seien derzeit auf diese wachsende Gruppe von Senioren eingestellt, sagte die Buchautorin Margaret Heckel aus Potsdam am Donnerstag in einer Podiumsdiskussion zum Thema "Produktiv, engagiert, ausgegrenzt?". Deutschland sei nach Japan die zweitälteste Gesellschaft der Welt, deren Arbeitspotenzial von Beschäftigten jenseits der Altersgrenze nicht einmal in Ansätzen ausgeschöpft werde, erklärte sie.
Die Journalistin warb für sozialpolitische Reformen, die das sogenannte lebensphasenorientierte Arbeiten möglich machen. "In wenigen Jahrzehnten wird es absolut normal sein, 100 Jahre alt zu werden", sagte Heckel. "Darauf muss sich die Arbeitswelt einstellen" - auch weil länger gearbeitet werden müsse, um die Rentenkasse zu füllen.
"Niemand sollte gezwungen werden, länger zu arbeiten", betonte Heckel. "Doch wer das freiwillig machen will, sollte die Möglichkeit dazu haben." 31 Prozent der Männer und 28 Prozent der Frauen arbeiten nach ihren Angaben in den ersten drei Jahren nach ihrem Renteneintritt weiter, Tendenz steigend.
Das heutige Dreiphasenmodell mit den Abschnitten Lernen, Arbeiten und Ausruhen sei überholt. Heckel warb dafür, alle drei Phasen bis ins hohe Alter hinein anzuwenden. Auch Senioren könnten über Fort- und Weiterbildung, gerade im Zeitalter der Digitalisierung, fit für den Arbeitsprozess gehalten werden. "Menschen können ständig Neues lernen", sagte sie. "Das gilt bis zum letzten Atemzug." Dazu müsse die Fort- und Weiterbildung ganz neu ausgerichtet werden.
Matthias Jung, Landessozialpfarrer in Hannover, sagte, Arbeit sei als Grundbedürfnis des Menschen, etwas für sich und andere zu tun, nicht ausreichend anerkannt. Viele Unternehmen verlören in Zeiten des Fachkräftemangels qualifiziertes Personal in den Vorruhestand, weil "die Betroffenen nicht zufrieden sind mit ihrem Tun". Sie seien oft gelangweilt und "wollen nur noch raus aus der Firma". Hier laufe noch ein Menge schief in den Unternehmen.
Der Theologe sagte, die Politik müsse auf die Alterung der Gesellschaft reagieren. "Unser heutiges Rentensystem wird die nächsten Jahrzehnte nicht überleben", erklärte Jung. Das mache ihm große Sorgen für die Zukunft, denn ohne Renten in ausreichender Höhe sei für die Betroffenen keine gesellschaftliche Teilhabe mehr gewährleistet.
Diakoniepräsident Ulrich Lilie sagte, auch seine Organisation suche nach Wegen, etwa Pflegefachkräfte, die oft frühzeitig aus dem Beruf aussteigen, länger zu halten. Das sei ein riesiges Thema: "Unsere Unternehmen wissen das." Es gebe einige gute Ansätze, aber Lilie räumte auch ein, dass es "hier noch Luft nach oben gibt". Eine Möglichkeit, die vor allem körperlichen Belastungen im Job zu senken, sei der Einsatz von Assistenzsystemen: "Wir befassen uns sehr intensiv mit dem Thema Robotik."