War Paulus ein Macho? Immerhin hat er geschrieben, dass Frauen in der Gemeinde schweigen sollen und der Mann das Haupt der Frau ist. Diese Aussagen werden oft zitiert, wenn Entscheidungsträger in der Kirche die Vorherrschaft der Männer begründen. Viele von Paulus’ Aussagen sind ungenau übersetzt oder aus dem Zusammenhang gerissen. Wenn man sie jedoch im historischen und kulturellen Kontext betrachtet, dann zeigt sich, dass er seiner Zeit weit voraus war und Jesus’ Auffassung von Gleichberechtigung radikal umsetzte. Paulus proklamierte absolute Gleichwertigkeit für alle: "Nun gibt es nicht mehr Juden oder Nichtjuden, Sklaven oder Freie, Männer oder Frauen. Denn ihr seid alle gleich – ihr seid eins in Jesus Christus" (Galater 3,28).
Paulus' Emanzipationsschritte waren im Vergleich zu unseren sehr groß. Frauen im Patriarchat als gleichwertig zu behandeln, ihnen Klugheit und Führungskraft zuzuschreiben, ist eine ganz andere Nummer als dies in einer Gesellschaft zu tun, die Gleichberechtigung als Grundprinzip hat. Bei Paulus hatten Frauen verantwortungsvolle Aufgaben. Phöbe war Diakonin. Sie war es, die im Jahr 55 n.Chr. den Brief von Paulus an die Gemeinde von Rom überbrachte. Das war etwas anderes, als das Gemeindeblatt auszutragen! Es war nicht nur gefährlich, sondern beinhaltete auch, dass der Überbringer der Gemeinde den Inhalt erklärte, wenn die Christen etwas nicht verstanden, denn schließlich konnten sie nicht kurz per Skype oder E-Mail beim Absender nachfragen. Paulus vertraute Phöbe also völlig, dass sie alles in seinem Sinne weitervermitteln würde, und hatte den Text vermutlich vorher mit ihr durchgesprochen. Damit hatte Phöbe eine zentrale Bedeutung bei der Ausbreitung des Evangeliums.
Priska und Aquila – Paulus’ beste Freunde
Paulus arbeitete von Anfang an mit Frauen genauso zusammen wie mit Männern. Auch zwischen dem Ehepaar Priska und Aquila machte er keinen Unterschied. Er debattierte nicht mit Aquila über theologische Fragen, während Priska Tee und Gebäck reichte. Paulus stellt ihre Bedeutung in seinen Briefen heraus, indem er sie als Erste nennt, noch vor ihrem Mann. Siebenmal werden sie genannt und dabei steht Priska fünfmal an erster Stelle. Während es heute heißt "Ladies first", war das damals völlig unüblich. Der Wichtigste wurde zuerst genannt, und das war der Mann. Wenn Paulus davon abweicht und Priska zuerst nennt, dann muss sie wirklich bedeutend gewesen sein, mehr noch als ihr Ehemann.
Wie kann man Paulus Frauenfeindlichkeit unterstellen, wenn er bewusst damalige kulturelle Gepflogenheiten ignorierte, um die Arbeit der Frau besonders hervorzuheben?
In den neuen Gemeinden hatten die Frauen die gleichen Ämter wie die Männer. Sie waren sogar Lehrende. Das war bisher undenkbar gewesen. Eine Frau, die Männer lehrte? Wir können uns kaum vorstellen, welch ein unglaublich großer Schritt das war! Aber genau das tat Priska, und zwar auf akademischem Niveau. Einer ihrer Schüler war Apollos, ein hochgebildeter und redegewandter Jude: "Hochschulabsolvent einer der bedeutendsten Universitätsstädte, Alexandrien in Ägypten, ein glänzender Rhetoriker, bibelfest und lebendig erfüllt mit dem Heiligen Geist", so beschreibt ihn Ulrich Wendel. Priska und Aquila luden Apollos zu sich nach Hause ein und gaben ihm Privatunterricht. Dass Apollos ein außerordentlich kluger Mann gewesen sein muss, zeigt sich spätestens hier. Er lässt sich von einer Frau unterrichten, einer Frau, die keinen Schulabschluss besaß, geschweige denn eine Universität jemals von innen gesehen hatte. Doch ihm war es wichtig, zu lernen, zu studieren. Und da war es ihm egal, ob ihn eine Frau oder ein Mann unterrichtete.
Der Unterricht durch Priska und Aquila war sehr erfolgreich, denn von Apollos heißt es, dass er den Christen mit seiner Begabung eine große Hilfe war: "Er widerlegte die Juden in öffentlichen Auseinandersetzungen mit überzeugenden Argumenten." Apollos behauptete nicht nur, dass Jesus der Messias war, sondern er belegte es durch neueste Quellenangaben. Er arbeitete wissenschaftlich auf hohem Niveau.
"Das Weib schweige in der Gemeinde" – Verbietet Paulus Frauen den Mund?
Paulus lobt seine lehrenden und predigenden Mitarbeiterinnen in den höchsten Tönen. Wie passt es dann zusammen, dass er den Frauen gebietet, in der Gemeinde zu schweigen und zu Hause ihre Männer zu fragen? (1. Korinther 14,26-35). Das Wort sigá?, das Paulus für "schweigen" verwendet, meint ein zeitweises Schweigen. Man benutzt es, wenn man im Chaos und Geschrei um Ruhe bittet. Aber warum wendet sich Paulus hier nur an die Frauen? Es war absolut neu, dass Frauen und Männer gemeinsam Gottesdienst feierten. Bisher waren Frauen ausgeschlossen gewesen. Ihr Platz war zu Hause, während die Männer in der Synagoge Gottes Wort hörten und darüber diskutierten.
Die Frauen hatten also nicht das Wissen der Männer, sie waren gewaltig im Rückstand. Während im öffentlichen Leben Zurückhaltung von ihnen gefordert war, trauten sie sich in den neuen christlichen Gemeinden, ihre Fragen zu äußern. Außerdem hatten sie keine Erfahrung, wie man sich bei öffentlichen Versammlungen benimmt. Sie kannten nur die Zusammenkünfte mit anderen Frauen. Und das war für sie bis dahin immer eine Gelegenheit gewesen, aus der Eintönigkeit des Hauses herauszukommen und etwas Neues zu erfahren. Man kann sich also vorstellen, was für ein Gegacker es gab, wenn die Frauen zusammenkamen.
Und nun saßen diese Frauen im Gottesdienst. Sie verstanden vieles von dem nicht, was geredet wurde, und sie freuten sich sehr, ihre Freundinnen und Bekannten zu treffen. Da wundert es nicht, wenn Paulus energisch einschreitet und zu den Frauen sagt: "Jetzt haltet einfach mal die Klappe!"
Paulus ermahnt die Frauen nicht zum Schweigen, um damit den Männern die alleinige Wortgewalt zu geben, sondern er sagt es – und da zeigt sich wieder der emanzipierte Paulus – damit die Frauen auch etwas davon haben. Alle sollen nacheinander reden, damit alle etwas lernen, auch die Frauen. Was für ein revolutionärer Schritt! Paulus ist es sehr wichtig, dass die Frauen verstehen, was im Gottesdienst gesagt wird. Deshalb fordert er sie auf, zu Hause ihre Männer zu fragen. Er ermutigt sie, ihre Wissenslücken zu füllen. Und dazu bezieht er die Männer ein. Sie sollen ihr Wissen teilen, um ihre Frauen auf den gleichen Stand zu bringen. Was das wohl für die Männer bedeutet hat? Auch sie mussten ihr Frauenbild völlig revidieren.