Der Präses der Evangelische Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, sieht in anhaltender Armut "eine echte Bedrohung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt". Als Pfarrer in Wuppertal habe er erlebt, dass Armut Menschen von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgrenze, sagte Rekowski beim Sozialpolitischen Aschermittwoch der Kirchen in Oberhausen. "Man gehört nicht dazu."
Als "besorgniserregend" empfinde er zudem, dass Armut vererbt werde, sagte der evangelische Theologe. Kinder aus betroffenen Familien seien vom Beginn ihres Lebens an abgehängt. "Da nehmen nicht nur die einzelne Familie und das einzelne Kind Schaden, sondern auch unsere Gesellschaft."
Bildung als Investition
Der Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung, Aart Jan De Geus, forderte zur Bekämpfung von Armut unter anderem mehr Geld für Bildung. "Ausgaben für Bildung müssen als Investitionen gesehen werden und nicht als Kosten", sagte der frühere niederländische Arbeits- und Sozialminister. Die schwierigsten Schulen bräuchten die besten Lehrer.
Notwendig sei vor allem mehr Durchlässigkeit im Schulsystem, betonte er. Die Abhängigkeit der Bildungschancen von der sozialen Herkunft sei in Deutschland schlimmer als in anderen europäischen Ländern. Soziale Unterschiede würden im Bildungssystem verstärkt und nicht korrigiert.
In Nordrhein-Westfalen lebe jedes fünfte Kind unterhalb der Armutsgrenze, insgesamt eine halbe Million Mädchen und Jungen, sagte der Stiftungsvorsitzende. Finanzielle Armut führe zu weniger Teilhabe an Gesundheit, Bildung oder Arbeit. "Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen."
Armut bedeutet nach Worten von De Geus auch eine Gefahr für die Demokratie. In sozial abgehängten Stadtteilen sei die Wahlbeteiligung deutlich niedriger. Zugleich würden Menschen, die lange nicht zu Wahl gegangen seien, empfänglicher für Parolen von extremistischen Parteien, auch wenn diese gar nicht ihre Interessen verträten, warnte der Stiftungschef.
Ziel der Sozialpolitik müsse es sein, Menschen nicht dauerhaft zu alimentieren, sagte Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck. "Wir müssen Arbeit schaffen, mit der Menschen das verdienen können, was sie brauchen." Eine Perspektive dafür biete etwa der Mindestlohn. Zugleich müsse es bessere Hilfen für Menschen geben, die "durch die Maschen fallen", forderte Overbeck. Hierzu trage auch die Kirche mit ihren sozialen Angeboten bei.
Die Veranstaltung fand in der Tafelkirche Oberhausen statt, einer katholischen Kirche, in der die Oberhausener Tafel seit 2008 Lebensmittel an bedürftige Menschen ausgibt. Nach Angaben des Tafelvereins werden monatlich rund 2.000 Menschen versorgt, "deren Geld nicht bis zum Monatsende reicht", wie die Vereinsvorsitzende Petra Schiffmann berichtete. Neben Rentnern und alleinerziehenden Müttern kommen nach ihren Worten auch viele Langzeitarbeitslose und Flüchtlinge.
Etwa 100 ehrenamtliche Mitarbeiter holen morgens nicht mehr benötigte Lebensmittel von 60 Geschäften und Bäckereien ab und sortieren sie. An vier Tagen in der Woche werden Lebensmittel gegen einen kleinen Unkostenbeitrag ausgegeben, an drei Tagen gibt es zusätzlich einen warmen Mittagstisch. Auch dieser kostet etwas. "Unsere Kunden sind keine Almosenempfänger", betonte Schiffmann.
Eigentlich sei es ein Skandal, dass es in einem Sozialstaat Einrichtungen wie die Tafeln gebe, sagte Präses Rekowski. Sie leisteten dennoch einen wichtigen Beitrag: "Kirche und Zivilgesellschaft müssen auch auf konkrete Not reagieren." Und Bischof Overbeck ergänzte, er sei froh, dass hier "viele Nahrungsmittel, die sonst weggeworfen werden, an die Frau und den Mann gebracht werden".
Zum Sozialpolitischen Aschermittwoch laden die Evangelische Kirche im Rheinland und das Ruhrbistum seit 1998 gemeinsam ein. Damit wollen sie einen politischen Akzent aus christlicher Perspektive setzen.