Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Irmgard Schwaetzer, kündigte am Sonntag auf der EKD-Synode in Würzburg an, es würden zwei Studien in Auftrag gegeben. Eine solle dabei helfen, mehr Klarheit darüber zu gewinnen, wie groß das Dunkelfeld ist - also die Zahl der Opfer, die nicht bekannt sind, weil sie sich nicht hilfesuchend an jemanden gewandt haben. Eine zweite Studie soll mehr Aufklärung über Risikofaktoren in der evangelischen Kirche bringen.
Schwaetzer sagte, das Thema sei für die evangelische Kirche so wichtig, dass es intensiv behandelt werden müsse. Der Anspruch sei, möglichst vollständige Aufklärung zu leisten. Die Beauftragung der Studien wurde Schwaetzer zufolge am Samstag von der Kirchenkonferenz beschlossen, dem Zusammenschluss aller 20 evangelischen Landeskirchen. Der Stand der Aufarbeitung ist in den Landeskirchen jeweils sehr unterschiedlich. Aufarbeitungsprozesse wurden bislang nur regional angestoßen. Anlässlich der Synode wurde eine Abfrage in allen 20 Landeskirchen zur Zahl der Fälle veranlasst. Die Zahl von 480 Betroffenen bezieht sich dabei auf verjährte Fälle, die den Unabhängigen Kommissionen gemeldet wurden, die es nur in zehn der 20 Landeskirchen gibt. Nicht gezählt und nicht bekannt sind dabei aktuelle und nicht-verjährte Fälle, in denen noch ein Disziplinarverfahren gegen einen mutmaßlichen Täter eingeleitet werden kann.
Die Synode der EKD berät bis Mittwoch auf ihrer Jahrestagung in Würzburg über aktuell dringliche Fragen in der evangelischen Kirche. Das Thema Missbrauch steht dort am Dienstag auf der Tagesordnung. Dann sollen Schwaetzer zufolge auch weitere Details zu den Studien besprochen werden, die am Sonntag noch offen blieben. Der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm sagte dazu: "Wir müssen weitere Konsequenzen ziehen, noch intensiver an Präventionskonzepten und zielgenauer Aufarbeitung arbeiten." Bischöfin Kirsten Fehrs wird den Bericht des Rates zu sexualisierter Gewalt am Dienstag zur Diskussion in die EKD-Synode einbringen.
Schwaetzer betonte, die evangelische Kirche lege bei der Aufarbeitung großen Wert auf die Zusammenarbeit mit der von der Bundesregierung eingerichteten Unabhängigen Aufarbeitungskommission. Diese hatte kurz vor der Synode in einer Stellungnahme Forderungen an die evangelische Kirche formuliert. Enthalten war darin auch die Aufforderung, eine übergreifenden Studie nach dem Vorbild der Untersuchung im Auftrag der katholischen Deutschen Bischofskonferenz umzusetzen. Die Ergebnisse der katholischen Studie wurden Ende September vorgestellt und hatten Rufe nach einer spezifischen Aufarbeitung auch in der evangelischen Kirche lauter werden lassen.