Während 1972 nur wenige Prozent der befragten Mitglieder häufiger den Besuch des Ostergottesdienstes nannten, sei in den folgenden Jahrzehnten die Bevorzugung des Osterfests gegenüber Karfreitag deutlich gewachsen, sagte der Göttinger Theologe Jan Hermelink dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Genaue Besucherzahlen hat die evangelische Kirche aber nur vom Karfreitag, der einer der sogenannten Zählsonntage ist. An diesem Feiertag ist etwa in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau der Anteil der Gottesdienstbesucher an den Mitgliedern von 5,6 Prozent im Jahr 1980 über 5,0 Prozent im Jahr 2000 auf 4,2 Prozent im Jahr 2016 gefallen.
Die steigende Popularität des Osterfests unter den Kirchenmitgliedern habe mit der wachsenden Bedeutung des Erlebnischarakters von Gottesdiensten zu tun, begründete Hermelink. An Ostern gebe es eine Vielzahl liturgischer Formen wie die Feier der Osternacht, das Osterfrühstück und Familiengottesdienste, die das Erlebnis und den Gemeinschaftscharakter der Feier betonten.
Dies bedeute nicht, dass Gläubige dem Leiden Jesu ausweichen wollten, sagte Hermelink. An Passionsfeiern, die die Gemeinschaft und ästhetische Formen des religiösen Lebens betonten, wie Passionsmusiken oder Kreuzwegsandachten, nähmen viele Besucher teil. Der Theologe deutete den Trend positiv: Wo die Kirche Erlebnisse schaffe, gewinne sie und bleibe im Anschluss an die Gesellschaft.
Die "Eventisierung" von Gottesdiensten spiele für deren Attraktivität eine Rolle, bekräftigte die Frankfurter Theologin Ursula Roth. Eine kulturell anspruchsvolle Gestaltung und die Einbeziehung von Familien über die Altersgrenzen hinweg machten Gottesdienste anziehend. Deshalb kämen am Ostersonntag wie auch an Heiligabend viele sonst kirchlich ungebundene Mitglieder in die Kirche. Jedoch lasse sich auch der Karfreitag interessant gestalten, indem mit einem verhüllten Altar und einer schweigenden Orgel gerade die "Leerstelle" des lebendigen Jesus inszeniert werde.