Der Berliner Ökonom, der immer wieder kritisch auf die große soziale Ungleichheit in Deutschland hinweist, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Die Vorschläge zur Grundsicherung im Alter sind positiv zu bewerten, ebenso wie der Fokus auf Langzeitarbeitslose - wobei man sich hier ambitionierte Zielsetzungen wünschen würde." Insgesamt werden aber laut Fratzscher die konkreten Absprachen in einem Koalitionsvertrag entscheidend sein, sofern überhaupt erneut eine große Koalition zustande kommt. Der Wirtschaftswissenschaftler bewertet positiv, dass das Sondierungspapier an vielen Stellen die Schwächsten in den Fokus nehme.
Er sieht zudem gute Ansätze im Bereich Bildung. "Ich denke da insbesondere an die Lockerung des Kooperationsverbots, das es erlauben wird, die Bildungspolitik ein Stück voranzubringen." Das Bildungssystem in Deutschland müsse sozial durchlässiger werden, nicht nur die Schule, sondern auch die berufliche Bildung und die Weiterbildung. Nur dann könnten alle Menschen die Chancen, die die Digitalisierung und der Wandel der Arbeitswelt eröffnen, auch ergreifen.
Kritisch sieht der DIW-Präsident die Beschlüsse zu Migrationsfragen. "Sie gehen nicht unbedingt in Richtung eines Zusammenhalts der Gesellschaft." Fratzscher vermisst klare Bekenntnisse zur Integration "und einen klaren Plan, wie Geflüchteten die Sprache besser vermittelt werden kann, wie sie im Bildungs- und Qualifikationssystem ihren Platz finden". Die beabsichtigten restriktiven Regelungen zum Familiennachzug wirkten hier kontraproduktiv.
Fratzscher hält es für "extrem wichtig", die Situation in der Pflege zu verbessern. Hier blieben aber die Sondierungsergebnisse konkrete Antworten schuldig. Die Bekundungen in dem Sondierungspapier zeugten immerhin davon, dass CDU, CSU und SPD sich des Ernstes der Lage bewusst seien, sagte Fratzscher. "Es ist zu hoffen, dass dieser Punkt in den tatsächlichen Verhandlungen ausgearbeitet wird."