Bewohner der Fidschi-Inseln aus dem Südpazifik forderten zum Beginn der Proteste den sofortigen Kohleausstieg. Die "Pacific Climate Warriors" führten in den frühen Morgenstunden eine traditionelle Südsee-Zeremonie im verlassenen Ort Manheim-Kerpen durch. Deutschlands Kohleabbau exportiere Zerstörung in den Pazifik und die Welt, sagte George Nacewa von den Climate Warriors. Der Klimawandel stelle eine direkte Bedrohung für die Menschen und Inseln im Pazifik dar. "Wir fordern, den Ausbau fossiler Energie jetzt zu stoppen."
Auf Transparenten forderten die Teilnehmer "Raus aus der Kohle", "Tagebaue stoppen" und "Kohle stoppen". Dem Kraftwerksbetreiber RWE warfen die Braunkohlegegner vor, die Zukunft abzubaggern. Andere Demonstranten nannten die RWE einen "Heimat- und Klimakiller". Das Dorf Manheim soll nach den bisherigen Planungen ab dem Jahr 2023 für den Tagebau Hambach abgebaggert werden.
Das Bündnis "Ende Gelände" kritisierte unter anderem die Bundesregierung, der es "am Willen zur Durchsetzung von Klimagerechtigkeit fehlt". Es sei "geradezu absurd, wenn ab Montag in Bonn über Klimaschutz verhandelt wird, während in Berlin der Kohleausstieg blockiert wird", sagte Bündnispressesprecherin Dorothee Heußermann.
Es kam auch Pfefferspray zum Einsatz
Nach dem friedlichen Auftakt der Aktionen am Morgen seien im Laufe des Nachmittags mehrere Hundert Aktivisten in den Tagebau eingedrungen, sagte Bündnissprecherin Janna Aljets dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sie hätten drei Bagger umstellt. Der Tagebau-Betreiber RWE habe die Bagger und ein Förderband gestoppt.
In dem nordrhein-westfälischen Tagebau sei es an einigen Stellen zu einem Polizeieinsatz zu Pferde und mit Pfefferspray gekommen, berichtete Aljets. Die Polizei selbst hatte bereits zuvor von Widerstandshandlungen gegenüber Polizisten an der Abbruchkante des Tagebaus und von Pfefferspray-Einsatz berichtet, um ein weiteres Eindringen von Aktivisten zu verhindern.
Selbst gesteckte Klimaschutzziele erreichen
In Bonn hatten sich bereits am Samstag mehrere Tausend Menschen zur Demonstration für den Klimaschutz versammelt. Unter dem Motto "Klima schützen - Kohle stoppen" forderte ein Aktionsbündnis aus Umweltschutz- und Hilfsorganisationen den Ausstieg aus der Verstromung von Kohle. "Wir fordern von der Bundesregierung einen klaren Ausstiegspfad aus dem Braunkohle-Tagebau und den Kohlekraftwerken", sagte Kathrin Schröder, Energieexpertin des katholischen Hilfswerks Misereor. Nur so könnten die von der Bundesregierung selbst gesteckten Klimaschutzziele erreicht werden. Zudem müssten die reichen Staaten als Hauptverursacher des weltweiten CO2-Ausstoßes die ärmeren Länder bei der Bewältigung der Folgen des Klimawandels stärker unterstützen.
Der Vorsitzende des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Hubert Weiger, forderte von den neuen Koalitionspartnern in Berlin, die von der Bundesregierung beschlossenen Klimaziele endlich umzusetzen. An die Adresse von Bündnis 90/Die Grünen appellierte Weiger, sich in Koalitionsverhandlungen konsequent für den Klimaschutz einzusetzen. "Der Kohleausstieg sollte für die Grünen die rote Linie sein, die sie nicht überschreiten."
Der Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, Anton Hofreiter, sagte am Rande der Demonstration, seine Partei werde bei Koalitionsverhandlungen auf konsequente Maßnahmen zum Klimaschutz beharren. "Für uns ist klar, dass in einer Koalitionsvereinbarung echter Klimaschutz drin sein muss." Er erhoffe sich von dem Bonner Klimagipfel ein Signal für eine entschiedenere Umsetzung des Pariser Klimaabkommens. "Es kommt jetzt darauf an, dass Deutschland mit gutem Beispiel vorangeht."
"Mehr Tempo beim Klimaschutz"
Zu den Veranstaltern der Demonstration gehören unter anderem die kirchlichen Hilfswerke Brot für die Welt und Misereor sowie Greenpeace und Germanwatch. "Viele Tausend Teilnehmer bei der Demonstration zum Auftakt der Bonner Klimakonferenz sind ein klares Signal für mehr Tempo beim Klimaschutz", betonte Sabine Minninger, Klimareferentin von Brot für die Welt. Nach Schätzungen der Polizei nahmen an der Veranstaltung am Samstag mehr als 10.000 Menschen teil, die Veranstalter sprachen von rund 25.000 Demonstranten. Insgesamt würdigte die Polizei die ersten Demonstrationen im Raum Bonn zwei Tage vor der Weltklimakonferenz als "friedlich und bunt". Es habe keinerlei Ausschreitungen oder Zwischenfälle gegeben.
Parallel startete in Köln eine Fahrraddemonstration mit rund 1.000 Teilnehmern in Richtung Bonn. Die Veranstalter lösten diese Demonstration nach Polizeiangaben jedoch kurz nach Beginn wegen interner Streitigkeiten auf. Daraufhin hätten sich die Teilnehmer auf eigene Faust auf den Weg nach Bonn gemacht. Die Demonstranten hatten ursprünglich über die A 555 nach Bonn fahren wollen. Das Oberverwaltungsgericht Münster hatte dies aber untersagt. Die Teilnehmer wählten daraufhin eine alternative Route.
Auch vor dem Wochenende haben sich die deutschen Katholiken für einen Ausstieg aus der Energiegewinnung durch Kohle starkgemacht. "Wir müssen aussteigen aus der Kohle", forderte der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick am Freitag auf der Tagung "In Sorge um unser gemeinsames Haus - Kirchliche Perspektiven zur Umsetzung des Weltklimavertrages in Deutschland" in Siegburg. Die Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Claudia Lücking-Michel, rief die künftigen Koalitionspartner in Berlin auf, den Klimaschutz entschieden voranzutreiben.
Die Weltklimakonferenz findet vom 6. bis 17. November in der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn statt. Thema ist vor allem, die Details zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens von 2015 festzulegen. Erwartet werden bis zu 25.000 Teilnehmer aus aller Welt. Die Haltung der Kirche sei klar, sagte Schick, Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz. Die Klimaziele müssten entschiedener angegangen werden.
Verantwortung wahrnehmen
Lücking-Michel forderte, die künftigen Koalitionspartner müssten einen Kompromiss zwischen den Ansprüchen des nordrheinwestfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) und einem entschiedenen Klimaschutz finden. Laschet hatte sich im Hinblick auf die Koalitionsverhandlungen in Berlin für einen Energiemix starkgemacht, der Stein- und Braunkohle einschließt.
Derzeit habe Deutschland seine Vorreiterrolle bei der Energiewende verloren, weil der Ausstieg aus der Kohle verpasst worden sei, kritisierte der Klimaexperte Ottmar Edenhofer. Ohne eine starke Reduktion des Ausstoßes von Kohlekraftwerken seien die Klimaziele jedoch nicht zu erreichen. "Die Kohle-Frage wird in den nächsten fünf Jahren die entscheidende Frage sein", warnte der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Die Politik müsse nun den Strukturwandel gestalten. Entscheidend dafür seien höhere Abgaben auf CO2-Emissionen. Dazu sei eine Einigung auf europäischer Ebene notwendig.
Martin Bröckelmann-Simon, Vorstandsmitglied des bischöflichen Hilfswerks Misereor, wies darauf hin, dass vor allem ärmere Länder von den Folgen des Klimawandels betroffen seien. Auf den Fidschi-Inseln, die die Präsidentschaft der am Montag beginnenden Bonner Klima-Gespräche übernommen haben, seien wegen des Anstiegs des Meeresspiegels bereits erste Dörfer umgesiedelt worden. "Wir erinnern die Bundesregierung daran, ihre Verantwortung wahrzunehmen und beim Klimaschutz voranzuschreiten", sagte Bröckelmann-Simon.
Gabriel betont Verantwortung Deutschlands
Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) hat vor der Weltklimakonferenz in Bonn die Rolle Deutschlands betont. Dabei müsse Deutschland zeigen, "dass Klimaschutz und wirtschaftlicher Erfolg keine Gegensätze sind", sagte er der "Bild am Sonntag". "Nur wenn wir unter Beweis stellen, dass eine anspruchsvolle Klimapolitik nicht dazu führt, dass Arbeitsplätze und industrieller Erfolg darunter leiden, werden uns andere Länder folgen."
Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" geht die Bundesregierung nicht mehr davon aus, dass sie die selbst gesteckten Ziele erreichen kann. Das gehe aus einem Regierungspapier hervor, in dem es heiße: Das Scheitern am 2020er-Ziel einer Reduzierung von 40 Prozent Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 zeichne sich "nunmehr deutlich ab".
Und um den CO2-Ausstoß bis 2030 um 55 Prozent zu reduzieren, müsse das Land doppelt so viel Kohlendioxid einsparen wie in den vergangenen 26 Jahren. Dieser Vergleich mache aber deutlich, "dass es sich hierbei um ein extrem ambitioniertes - genauer - nicht realisierbares Ziel handelt", heißt es. Um zumindest in die Nähe der Vorgaben zu gelangen, sehe die Bundesregierung den Kohleausstieg als "vergleichsweise leicht umsetzbare Maßnahme" an.