"Der Klimawandel birgt Chancen und Risiken, vieles kann man noch nicht abschätzen", sagte der Gießener Klimaforscher Jürg Luterbacher dem Evangelischen Pressedienst (epd). Insgesamt werde es jedoch mehr Verliererregionen geben, "insbesondere dort, wo es trockener wird", etwa in den Subtropen, Afrika und Südostasien.
Skandinavische Länder, Kanada und die Arktis könnten hingegen zum Teil profitieren. "Es ist schon jetzt möglich, in Grönland Erdbeeren, Kartoffeln und Gemüse anzubauen. Eine eisfreie Nordwestpassage wird den Schiffstransport vereinfachen und verbilligen", sagte Luterbacher. Generell seien durch den Klimawandel mehr Schwankungen und Extreme zu erwarten: Hitzewellen, Überschwemmungen, Trockenheit, "kalte Ausreißer und feucht-milde Sommer". In einigen Regionen geschehe der Wandel sehr schnell. "Es gibt sogenannte Kipp-Punkte, an denen Systeme kollabieren. In der Arktis sind diese Punkte in einigen Bereichen schon erreicht."
Luterbacher ist Mitglied einer internationalen Arbeitsgruppe zur Klimaforschung mit Geologen, Geografen, Physiker, Meteorologen und Mathematikern. Wissenschaft solle keinen Alarmismus verbreiten, sagte er, aber die Gesellschaft auf die Veränderungen hinweisen. Die Wissenschaftler nutzten für ihre Forschungen ein Netz aus Daten wie aktuelle Messungen, Untersuchungen von Baumringen und auch historische Dokumente.
Das Jahr 1816 war ein "Jahr ohne Sommer" mit fast täglichem Regen in Europa. Ursache war Luterbacher zufolge der Tambora-Vulkanausbruch 1815. Die Katastrophe führte zu "einer Reihe von Innovationen" wie der Draisine als Alternative zum Pferd, der Begradigung des Rheins und der Universität Hohenheim als landwirtschaftliche Forschungsstätte.
"In der Vergangenheit konnten starke Staaten besser mit Umweltveränderungen umgehen", betonte der Forscher. 2003 erfasste eine lange Hitzewelle Europa, die allein in Frankreich Zehntausende Menschen das Leben kostete. Eine starke Gesellschaft wie Frankreich habe daraus gelernt und Notfallpläne entwickelt. "Länder müssen versuchen, sich dem aktuellen und künftigen Klimawandel anzupassen, aber auch aktiv dagegen vorgehen", zum Beispiel das Treibhausgas Kohlendioxid "in den Untergrund schaffen", Ozeane mit Kalk düngen oder Wälder großräumig aufforsten. Krisen würden starke Staaten wie Deutschland nicht destabilisieren, andere Regionen aber vor große Probleme stellen. Deshalb stelle sich die Frage: "Wie geht man mit den Klima- und Umweltflüchtlingen künftig um?"