Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will im Fall einer Abstimmung über die "Ehe für alle" den Abgeordneten ihrer Partei das Votum freistellen. Für sie gehe es in dieser Frage "eher in Richtung einer Gewissensentscheidung", als dass der Mehrheitsbeschluss einer Partei durchgesetzt werden solle, sagte Merkel am Montagabend bei einer Veranstaltung der Zeitschrift "Brigitte" in Berlin. Es bekümmere sie, dass die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe Gegenstand von "plakativen Beschlüssen" im Wahlkampf sei. Sie wolle mit der Union einen anderen Weg gehen.
Merkel sagte, gleichgeschlechtliche Paare lebten dieselben Werte der Verbindlichkeit wie es sie in der Ehe zwischen Mann und Frau gebe. Sie forderte aber auch "Respekt und Achtung" vor denjenigen, die sich mit der Gleichstellung schwer täten. SPD, Grüne, Linke und die im Bundestag nicht vertretene FDP sind für eine Gleichstellung schwuler und lesbischer Lebenspartnerschaften mit der Ehe. Über die "Ehe für alle" wurde in der gesamten Legislaturperiode gestritten. Die Grünen brachten das Thema mehrfach auf die Tagesordnung des Bundestags, es kam aber nie zur Abstimmung.
Nach Merkels Äußerungen forderte der Grünen-Abgeordnete Volker Beck, noch diese Woche über das Thema abzustimmen. "Lassen Sie die Bevölkerung nicht länger warten und ersparen Sie uns allen einen erneuten Wahlkampf zu dem Thema", appellierte er an die Regierungschefin. In dieser Woche kommt der Bundestag letztmalig in dieser Wahlperiode zusammen.
Die Zeitungen der Funke Mediengruppe berichteten allerdings unter Berufung auf Angaben Merkels im CDU-Vorstand, dass erst nach der Bundestagswahl aus der Mitte des Bundestags Gruppenanträge gestellt werden sollen. Fraktionsübergreifende Anträge im Parlament sind bei Gewissensentscheidungen üblich, insbesondere bei ethischen Fragen. Zuletzt hatte es dies beim Thema Sterbehilfe im Herbst 2015 gegeben. Auch FDP-Chef Christian Lindner begrüßte Merkels Aussagen zur "Ehe für alle". Die CDU komme "gesellschaftspolitisch in der Gegenwart an", sagte er im RBB-Inforadio.
HuK fordert das Ende der Diskriminierung
Markus Gutfleisch von der Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) sagt dazu: "Wir fordern seit langem die Ehe für alle, weil wir sie für zutiefst christlich halten. Sie ist christlich, weil sie das Zusammenleben in lesbischen und schwulen Partnerschaften als gleichwertig definiert und alle umständlichen, diskriminierenden Sonderbestimmungen überflüssig macht."
Für die HuK sei die langjährige Blockadehaltung der Union, die seit 2005 Regierungspartei ist, unwürdig. Teile der Evangelischen Kirche in Deutschland seien schon weiter. "Eine Expertenkommission legte 2013 gute theologische Argumente für eine Öffnung des Ehe- und Familienverständnisses vor, wurde aber vom Rat der EKD ausgebremst. Auch innerhalb der Unionsfraktion existiert eine nicht ganz kleine Gruppe, die ebenso wie wir die Öffnung der Ehe will", erzählt Gutfleisch. Er fügt hinzu: "Unionsfraktionschef Kauder, die Konservativen in der Partei und die katholischen Bischöfe stehen mehr als je im Abseits. Mit ihrem kläglichem Widerstand gegen gleiche Rechte, gegen neue theologische Sichten ist weiter zu rechnen. Gegen solche Einfalt setzt die Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche seit 40 Jahren gelebte Vielfalt. Kirchtürme, so sagen wir, müssen Menschen zur Begegnung mit dieser Vielfalt einladen. Sie dürfen keine Macht- oder Blockadeinstrumente sein. Auch katholische Lesben und Schwule sehnen sich nach dem Segen Gottes für ihre Partnerschaften, die sie als Ehe verstehen."
Zwar sei das Hickhack verschiedener Parteien rund um die Ehe für alle irritierend, doch setze es ein klares Signal gegen die AfD, die mit einem völlig überholten Familienbild versuche, Wahlkampf zu machen, sagt Markus Gutfleisch von der HuK. Er fordert: "Eine klare Distanzierung von diesem Familien- und Gesellschaftsbild ist christlich, da sind sich viele von Linkspartei bis CSU einig. Wir hoffen, dass sich die katholischen Bischöfe diesem Bündnis nicht verweigern."