Die Reformationsbotschafterin Margot Käßmann hat am Rande des evangelischen Kirchentages in Berlin den Vorwurf einseitiger Parteinahme der evangelischen Kirche zugunsten der Regierenden zurückgewiesen. Die evangelische Kirche sei keine Kirche der Parteien, sagte Käßmann am Freitag im Deutschlandfunk. Man schaue sich Parteiprogramme an und gehe in eine Diskussion, ob sie den schwachen Menschen im Land gerecht werden.
Am Donnerstag waren der ehemalige US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor 70.000 Menschen am Brandenburger Tor aufgetreten. Für Freitag wird neben anderen Spitzenpolitikern der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz zu dem Protestantentreffen erwartet.
Bei einem SPD-Empfang zum Kirchentag am Donnerstagabend sagte der Katholik Schulz, das Verhältnis seiner von der Arbeiterbewegung geprägten Partei zu den Kirchen sei lange Zeit schwierig gewesen. Heute gelte, "dass sich Kirche und Sozialdemokratie nicht nur nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig bereichern", sagte Schulz. Es sei "extrem wichtig", ins Gespräch zu kommen, mehr denn je in einer Gesellschaft, die auseinanderzudriften drohe. Das Kirchentagsmotto "Du siehst mich" sei heute ein wichtiger Satz für dieses Ziel.
Käßmann sagte im Deutschlandfunk: "Die Bibel hat durchaus politische Implikationen." Aus biblischen Botschaften zum Eintreten für Benachteiligte ergebe sich auch ihre Kritik an der AfD, die Flüchtlinge und Einwanderer diskriminiere. "Ich kann nicht verstehen, dass Christen die AfD wählen", sagte Käßmann, die im Auftrag des Rates des Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für das 500. Reformationsjubiläum im laufenden Jahr wirbt. Gleichwohl lehne sie Aufrufe ab, welche Parteien aus christlicher Sicht wählbar seien und welche nicht.
Käßmann hatte am Donnerstag auf dem Kirchentag in Berlin vor rund 5.000 Menschen bei einer Bibelarbeit scharfe Kritik an der AfD geäußert und hatte dafür teils tosenden Applaus bekommen. Im Deutschlandfunk sagte sie, für Christen sei es nicht akzeptabel, andere Menschen herabzusetzen. Flüchtlinge hätten das Recht auf ein geregeltes Asylverfahren in Deutschland und seien mit Respekt und Würde zu behandeln.
Schweigeminute um 12 Uhr
Ein Bündnis von kirchlichen und nichtkirchlichen Organisationen will am Freitag beim Kirchentag an den Tod von Flüchtlingen im Mittelmeer erinnern. Mit einer Veranstaltung am Berliner Hauptbahnhof ab 11 Uhr und einer Schweigeminute um 12 Uhr solle der mehr als 10.000 Menschen gedacht werden, die in den vergangenen drei Jahren auf ihrer Flucht nach Europa ums Leben gekommen sind, erklärte die EKD.
Der am Mittwoch eröffnete 36. Deutsche Evangelische Kirchentag findet bis Sonntag in Berlin und Wittenberg statt. Das Protestantentreffen steht im Zeichen des 500. Reformationsjubiläums. Parallel zu den zentralen Veranstaltungen in Berlin werden in Mitteldeutschland sechs regionale "Kirchentage auf dem Weg" gefeiert. Zusammen führen sie zum Festwochenende nach Wittenberg.
Zum Festgottesdienst auf den Elbwiesen im Süden der Lutherstadt werden für Sonntag mehr als 100.000 Menschen erwartet. Der Wittenberger Oberbürgermeister Torsten Zugehör (parteilos) sagte am Morgen im ZDF, bei den jahrelangen Vorbereitungen auf das Festwochenende habe man die internationale Terrorgefahr stets im Blick gehabt. Über den Anschlag zu Wochenbeginn in Manchester mit 22 Toten sei man sehr traurig. Für die Sicherheit sei alles getan, was man tun könne, sagte Zugehör. Nun überwiege die Vorfreude.