Künstler von internationalem Rang wie Markus Lüpertz, Richard Jackson und Ai Weiwei zeigen im Alten Gefängnis in Wittenberg ab diesem Freitag Werke, die sich auf Ideen der Reformation beziehen. An der Ausstellung "Luther und die Avantgarde", die bis zum 17. September zu sehen ist, beteiligten sich 66 Maler, Bilderhauer und Konzeptkünstler, die teils ganze Zellen neu gestalteten. Sie hätten "diesen Negativort verwandelt und die kargen feuchten Zellen, an denen Schicksale stattgefunden haben, zu einem Ort der Kunst gemacht, an den man gerne geht", sagte Ausstellungsmacher Walter Smerling am Donnerstag vor Journalisten.
Zur Annäherung gehören Themen wie Freiheit, Widerstand und Anpassung. Bereits auf dem Weg zum Alten Gefängnis in der Altstadt fallen plakatierte Litfaßsäulen auf. Darauf sind Verschmelzungen jugendlicher Körper mit Fotos bekannter Menschen zu sehen: Rosa Luxemburg, Simone de Beauvoir, Oskar Schindler. Die Namen stehen aus der Perspektive junger Menschen, die Johanna Reich zu ihren Vorbildern befragt hat, für "Resistance" (Widerstand).
Vor dem Hofportal zum Gefängnis dann eine lebendige Frau in Schwarz auf einem schwindelnd hohen Pfeiler aus Holz: Ein Versuch der Russin Olya Kroytor, Stabilitätssuche in einer sich stets wandelnden Wirklichkeit auszudrücken, wie es auf einer Erklärtafel heißt.
Martin Luther sei im 16. Jahrhundert in soziokultureller Hinsicht ein Avantgardist gewesen, sagte Smerling. Der Mönch und Reformator habe Wesentliches verändert, eine Vorreiterrolle eingenommen. Die Ausstellung am Ausgangsort der Reformationsbewegung von 1517 frage danach, wer 2017 die Menschen sind, die vorausgehen. Smerlings Kollegin Susanne Kleine von der Bundeskunsthalle in Bonn lobte "das große und wunderbare Angebot der Künstler, Themen wie Innovation, Digitalisierung oder Reformation unter neuen Aspekten zu durchdenken".
Auch Künstler ohne religiösen Hintergrund hätten sich von Luthers Gedanken zur individuellen Freiheit oder zu herrschenden Machtsystemen beeindruckt gezeigt und "unterschiedliche Herangehensweisen an Probleme gefunden, die uns alle angehen", sagte die Kunsthistorikerin Dan Xu, die als Kuratorin unter anderen die Künstler aus dem asiatischen Raum begleitete.
Anfang März hatte die künstlerische Gestaltung der Ausstellungsräume begonnen. Den ersten Pinselstrich machte noch am selben Tag der deutsche bildende Künstler und Atheist Jörg Herold. In seine hellblau gefärbte Zelle ritzte er die "99 schönsten Namen Allahs", um seinen Wunsch nach Erkenntnisgewinn auszudrücken. Der zum Katholizismus konvertierte Markus Lüpertz zeigte sich fasziniert von der Ambivalenz und Vielschichtigkeit Luthers und präsentiert einen einarmigen, nur mit einer Kapuze bekleideten Mann mit Buch.
Zeitgenössische Kunst in alten Zellen
Auch auf dem Terrain um das Gefängnis herum sind Installationen zu entdecken, wie ein Mosaik aus verschiedenfarbigen Steinplatten von Achim Mohné: Von oben sollen Satellitensysteme und somit die Navigationssysteme im Internet das verpixelte Bild des amerikanischen Whistleblowers Edward Snowden aufnehmen.
Der Großteil der Arbeiten von Meistern wie Ai Weiwei, Richard Jackson, Isa Genzken, Stephan Balkenhol, Ayse Erkmen, Erwin Wurm oder Ilya und Emilia Kabakov ist nach Angaben des Kuratoriums eigens für den Ort und Zweck geschaffen worden. Das Alte Gefängnis aus dem Jahr 1900 wurde dazu nach einigen Jahrzehnten des Leerstandes saniert. "Alle Werke, die wir hier präsentieren, haben in diesen Zellen eine ganz andere Intensität und Dimension als in üblichen Ausstellungsräumen", sagte der Kurator.
Zur Eröffnung am Abend wurden Prominente aus Kirche, Kunst und Politik erwartet, darunter Bundestagspräsident Norbert Lammert, Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (beide CDU), der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, Oberbürgermeister Torsten Zugehör (Parteilos) sowie zahlreiche Künstler. Im Beitrag Bedford-Strohms für den Katalog heißt es: "Die revolutionäre Chance der Kunst liegt in ihrer Möglichkeit, anders zu sein. (...) Sie kann Mauern öffnen, indem sie mit unseren Sehgewohnheiten bricht."
"Luther und die Avantgarde" ist Teil der Wittenberger Weltausstellung zum 500. Reformationsjubiläum. Im Sommer 2017 ist die Schau eine von vier Attraktionen, die an allen Wochentagen geöffnet ist. Zwei Außenstellen in der Berliner Matthäus-Kirche und der Karlskirche in Kassel sind ebenfalls Teil des Projektes. Die EKD ermöglichte die Ausstellung finanziell.