Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) fordert konkrete Stilllegungsdaten für alle 106 aktiven Kohleblöcke in Deutschland. Ein beschleunigter Kohleausstieg sei laut einer Studie des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie im Auftrag des Nabu bis spätestens 2035 möglich, sagte Nabu-Präsident Olaf Tschimpke am Montag in Berlin. Es sei deshalb höchste Zeit, einen Kohlekonsens zwischen Regierung und wichtigen Akteuren wie Ländern, Kommunen, Gewerkschaften und betroffenen Unternehmen auszuhandeln. Laut der Studie erzeugen die deutschen Kohlekraftwerke heute 40 Prozent des Stroms, sind aber für 80 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich.
Soziale, regionale und wirtschaftliche Verteilungsfragen sollten in einen ausgewogenen Abschaltplan einfließen, sagte Tschimpke weiter. Bislang ducke sich die Bundesregierung bei diesem Thema allerdings weg. Als größte Bremser macht Tschimpke dabei die Gewerkschaften im Einklang mit der SPD aus sowie die Länder Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Sachsen mit ihren Braunkohlerevieren.
Ein Strukturwandel im Rheinischen Revier und der Lausitz sei ein "schmerzhafter Prozess", räumte Tschimpke ein. Aber er sei bis 2035 zu schaffen, wenn er jetzt in Angriff genommen werde. "Es besteht aber die berechtigte Sorge, dass das von den Akteuren weiter rausgeschoben wird", erklärte der Nabu-Präsident.
"Ambitionierte Energieeffizienzpolitik nötig"
Laut Studienautor Timon Wehnert ist neben einer aktiven Strukturpolitik für die betroffenen Regionen eine ambitionierte Energieeffizienzpolitik in den kommenden 18 Jahren nötig. Dann sei der Ausstieg aus der Kohleverstromung "mit vertretbaren Kosten" und vertretbarem Aufwand umsetzbar, sagte Wehnert.
Zunächst könne der Kohleausstieg durch Gaskraftwerke abgepuffert werden, sagte der Klima- und Energieexperte. Bereits jetzt gebe es ein Überangebot an Stromerzeugung. Das führe dazu, dass Kraftwerksbetreiber überschüssigen Kohlestrom lieber zu niedrigen Preisen ins Ausland verkaufen, als die Kohlestromerzeugung zu drosseln.
Perspektivisch werde der Gesamtstromverbrauch beispielsweise durch Elektromobilität oder den Einsatz von Wärmepumpen wieder ansteigen. Dabei gebe es Szenarien von Steigerungen von 50 bis 100 Prozent. Damit durch den Wechsel zur Elektromobilität auch wirklich CO2-Emissionen reduziert werden können, sei es notwendig, den Strommix schnell zu dekarbonisieren.
Vor diesem Hintergrund müssten große, ungenutzt Effizienzpotenziale wie Gebäudedämmung oder die Umrüstung auf effektivere Windkraftanlagen stärker genutzt werden, sagte Wehnert. Sonst werde das Ersetzen von Kohlekraftwerkskapazitäten zunehmend auch mit steigendem Ressourceneinsatz und Flächenverbrauch einhergehen. "Dann brauchen wir noch mehr Windkraftanlagen." Um hier Interessenskonflikte zwischen lokalem Naturschutz und globalem Klimaschutz zu minimieren, sei es notwendig, den Gesamtstromverbrauch möglichst gering zu halten.
Die Linken-Bundestagsfraktion erklärte am Montag, die Studie zeige zum wiederholten Male, dass mehr Tempo beim Kohleausstieg nicht nur dringend nötig, sondern auch sozialverträglich und technisch machbar sei. Ohne zusätzliche Maßnahmen werde Deutschland sein 2020-Klimaziel allerdings krachend verfehlen, kritisierte die klimapolitische Sprecherin Eva Bulling-Schröter. Die Bundesregierung will den deutschen CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 senken.