Herr Kirchenpräsident, was fasziniert Sie am olympischen Wettbewerb?
Jung: Ich finde die olympische Idee im Kern prima. Wie der Erfinder der modernen olympischen Spiele Baron Pierre de Coubertin sagte, sollen sich die jungen Menschen nicht auf den Schlachtfeldern bekriegen, sondern einen fairen sportlichen Wettkampf miteinander pflegen und damit einen Beitrag zur Völkerverständigung und zum Frieden leisten. Das ist mehr denn je gefragt.
Das Gastgeberland 2016 Brasilien befindet sich in einer tiefen Krise. Sind unbeschwerte Spiele, die viel Geld kosten, angesichts von sozialem Elend angebracht und möglich?
Jung: Unbeschwert feiern kann man sicher nicht. Ich halte es auch für falsch, vor den Problemen im Land die Augen zu verschließen. Umgekehrt muss man sagen, dass große Sportereignisse auch immer die Chance bieten, sich den Problemen zu stellen. Dennoch habe ich Anfragen an die Vergabepraxis. Ich würde mir wünschen, dass man im Vorfeld sehr viel genauer hinschaut. Welches Bewusstsein für die Probleme in einem Land bringt eine Bewerbung für Olympia mit sich? Sind die Konzepte auf Nachhaltigkeit angelegt, können sie dem Land dauerhaft nutzen oder baut man Sportarenen, die hinterher leer stehen?
Eignen sich alle Länder als Olympia-Gastgeber?
Jung: Olympische Spiele in einer Diktatur zu veranstalten und diese damit zu stützen, geht meines Erachtens gar nicht. Es muss auch geprüft werden, unter welchen Arbeitsbedingungen die Sportarenen gebaut werden. Denken wir etwa an die geplante Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Ich habe große Probleme damit zu sehen, dass man in der Wüste Sportarenen baut. Katar ist vielleicht nicht das richtige Land für den Fußball. Oft spielen bei der Vergabe die Reputation und ökonomische Motive eine viel zu große Rolle anstelle der ökologischen und sozialen Fragen.
Sie betonen, dass Kirche und Sport gemeinsame Aufgaben haben, wie etwa den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Klar ist aber auch: Wer bei Olympia teilnimmt, will gewinnen. Der Nächste ist also vor allem ein Konkurrent?
Jung: Das ist für mich kein Gegensatz. Jeder Mensch muss doch lernen, dass wir zwar konkurrieren, diese Konkurrenz aber nicht zur gewaltvollen Auseinandersetzung führen darf. Konkurrenz kann durchaus auch von Respekt getragen sein. Oft sind Sportler, die im Wettkampf konkurrieren, persönlich miteinander befreundet. Das ist sogar im Spitzensport so.
Sportler, die dopen, betrügen und schädigen ihren Körper, weil sie glauben, in diesem hochgezüchteten System sonst nicht bestehen zu können. Wird Doping auf der Tagesordnung stehen, wenn Sie Sportfunktionäre treffen?
Jung: Man kommt an dem Thema Doping nicht mehr vorbei. Ich sehe das ausgesprochen kritisch. Sportler dopen, weil sie Erfolg haben wollen. Dieser ist für viele mit ökonomischem Erfolg verbunden, gerade im Profisport. Das Ganze ist zudem getrieben von einer medialen Aufmerksamkeit, die mit viel Geld verknüpft ist - Stichwort: Übertragungsrechte. Der Sport profitiert sehr von der öffentlichen Wahrnehmung, und das ist zugleich die große Verführung des Sports. Dauerhaft wird das aber nur funktionieren, wenn die Zuschauerinnen und Zuschauer überzeugt sind: Hier werde ich nicht betrogen, hier kann ich Sport genießen. Ich selbst hatte immer viel Freude am Radsport und habe gerne bei der Tour de France zugesehen. Als immer mehr deutlich wurde, wie sehr gerade die Tour vom Doping beeinflusst wird, habe ich den Spaß daran verloren.
Rufen Sie zum Zuschauer-Boykott auf?
Jung: Nein. Das ist keine Lösung. Aber ich rufe schon dazu auf, dass auch Zuschauerinnen und Zuschauer deutliche Signale geben: Wir wollen nicht betrogen werden!
"Der Sport bietet die Chance, die Buntheit zu genießen"
Flaggen und Nationalhymnen gehören zu jedem internationalen Wettkampf dazu. Sollten nicht die Leistungen der einzelnen Sportler stärker im Vordergrund stehen als das Herkunftsland?
Jung: Für viele Sportlerinnen und Sportler ist es eine Ehre, für ihr Land zu starten. Wenn das mit einem guten Stolz verbunden ist, finde ich das völlig in Ordnung. Es gibt eine Menge, was zwischen dem guten Stolz und einem sehr problematischen Nationalismus steht. Der Sport bietet gerade die Chance, im Aufeinandertreffen der Länder auch die Buntheit zu genießen.
Die Paralympics beginnen drei Wochen nach den Olympischen Spielen und werden als Spiele zweiter Klasse wahrgenommen. Wäre es eine Lösung, sie in die Olympischen Spiele zu integrieren?
Jung: Rein gefühlsmäßig würde man sagen 'Ja, irgendwie müsste das zusammen gehen'. Aber die Paralympics sind auf einem sehr guten Weg. Sie haben sich als eigene sportliche Veranstaltung etabliert und genießen wachsende mediale Aufmerksamkeit. Im Bereich des Behindertensports gibt es bei einigen auch Befürchtungen, dass er weniger beachtet würde, wenn es eine einzige Großveranstaltung gäbe. Im Moment plädiere ich deshalb eher dafür, die mediale Aufmerksamkeit für die Paralympics weiter zu stärken.