Siebensilbig

Jesus Bauklötze für einfache Kirchensprache
Foto: Getty Images/iStockphoto/Maciej Bogacz
Siebensilbig
Gefangen im sprachlichen Binnenkosmos der Kirche
Gibt es eine spezielle Kirchensprache? Und wenn ja, ist sie Gemeinde und Verkündigung dienlich - oder eher im Weg? Erik Flügge meint in seinem Buch "Der Jargon der Betroffenheit", dass "die Kirche an ihrer Sprache verreckt". Raimund Hellwig hat das Buch gelesen und mit dem Autor gesprochen.

In der Bergpredigt, so hat es der Journalist und Sprachkritiker Wolf Schneider gesagt und sicher auch kontrolliert, gibt es kein Wort mit fünf und mehr Silben. 21 Worte sind viersilbig. Die Schöpfungsgeschichte kommt mit einer Ausnahme sogar mit ein-, zwei und wenigen dreisilbigen Wörtern aus.  "Eucharistieverständnis" hat sieben Silben, und "kybernetisch-missionarisch" sogar acht, in Verbindung mit dem Wort Kompetenz kommt noch ein weiterer Schwall Sinnverwirrung hinzu.

Über den Glauben sprechen ist eine Kunst, die an theologischen Fakultäten mit Nachdruck unterrichtet wird. Offensichtlich herrscht ein gewisser Bedarf, den Glauben zu besprechen, ohne ihn in "verschrobene, gefühlsduselige Wortbilder" zu verpacken, wie es Erik Flügge in seinem Buch mit dem provokanten Titel "Der Jargon der Betroffenheit - Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt" formuliert. Es geht in diesem Buch, vorweg gesagt, zunächst nur um die Art und Weise, WIE man miteinander spricht, und nicht um die Botschaft. Flügge hatte das 2015 bereits in einem vielzitierten Blogbeitrag beklagt, jetzt ist das Buch dazu da.

Die Frage nach dem "wie" des Predigen stellt auch die Frage nach dem "warum", dem Zweck der Predigt, der Königsdisziplin der religiösen Kommunikation. Dietrich Sagert, so steht es dem Angebot des Predigtcoaching am Wittenberger Predigerseminar voran, erklärt Predigen so: "Es geht darum, das Einzigartige der Person des Predigenden zum Blühen zu bringen, zu sehen, was sie antreibt zu jener werklosen Tätigkeit, die man Glauben nennt." Das ist nun die erste Variante: Der Prediger inszeniert sich und im besseren Fall sein eigenes Glaubensverständnis. Die zweite Variante könnte lauten: Man inszeniert den Glauben der Gläubigen und holt sie da ab, wo sie stehen. Man nennt das in siebensilbigem Schlechtdeutsch "Lebensweltlicher Entstehenszusammenhang der Predigt".

Dafür braucht es aber eine gemeinsame Sprache aller Predigenden, und da beginnt Flügges Polemik. In der Kirche, schreibt Erik Flügge, kann man sich nie als Teil eines wachsenden Systems erleben. Man sei nicht auf der Erfolgsspur, sondern ist stets "Teil eines ganz langsam sterbenden Kosmos". Man schaut ein wenig neidisch auf die Charismatiker und ihr verzücktes Publikum, findet das schräg, fragt sich aber insgeheim, ob es nicht auch eine landeskirchliche Variante von Verzückung geben könnte. Doch was nutzt all der Ehrgeiz, wenn man dem Glaubensfernen schon sprachlich nicht klar machen kann, was am Glauben so toll ist?

Luthers klare Sprache ist nicht zu übertreffen

In Journalismus-Seminaren wird gelehrt: Schreibe so, dass dein Leser alles versteht. Langweile ihn nicht. Habe etwas zu sagen. Schreibe, was ist. Man könnte hinzufügen: Schreibe nicht, wenn nichts ist. Zumindest hat man das früher a) gelehrt, und b) zumindest überwiegend befolgt, als der Platz in den Zeitungen noch nicht beliebig vermehrbar war. Das gilt sinngemäß auch für jede Form von religiöser Kommunikation.

Wissen das die Prediger? Pfarrer und Journalisten sollten sich ein Beispiel an Luther nehmen, sagt Wolf Schneider, als "Sprachpapst" nicht populär, aber wichtig geworden. Luthers klare Sprache zu übertreffen, sei unmöglich, schreibt Flügge: "Die Frage ist nur, ob die Mehrheit der Würdenträger so weit dahinter zurückbleiben muss."

Was also ist los mit der Sprache (in) der Kirche, mit der Erik Flügge so grantig ins Gericht geht? Ist es vielleicht so, dass man im Bemühen, alle zu erreichen, alle ein bisschen verprellt, weil man keine gemeinsame Gesprächsebene mehr findet? Flügge findet und diskutiert ein Problem, das in seiner Bedeutung unterschätzt wird. Er schreibt, hier gebe es einen "sprachlichen Binnenkosmos, der entsteht, indem nur wenig von außen hineindringt".

"Ich will, dass Predigten endlich wieder besser werden"

Der Ex-Ministrant Flügge findet noch etwas, das Kommunikation in der Kirche bemerkenswert prägt. Es ist dieses oft merkwürdige Sprechen, das auf katholischer Seite vom inzwischen verblichenen Kardinal Höffner musterhaft zelebriert und von vielen, insbesondere sauerländischen Epigonen kopiert wurde. Diese "seltsamen Satzmelodien, nicht weil die Texte komisch geschrieben sind, sondern weil sie seltsam betont werden, klingen sie wunderlich." Schon ist man wieder bei der Frage, wen man eigentlich erreichen will. Ist Kirchensprache doch nur ein Ausdruck der Selbstvergewisserung in geschlossener Gesellschaft? Und dann diese Mühseligkeit, auf den Punkt zu kommen. Die Regel gilt auch für Predigten, Andachten und schlichtweg alles, was den Glauben stützen, stärken oder dem Gläubigen zurüsten will: Je schneller zum Punkt, desto besser.

Erik Flügge schreibt, es gebe unendlich viele Reize in dieser Welt, aber die religiösen seien weit weg von der Wahrnehmungsschwelle. Dabei sollen sie doch den Menschen als Richtschnur dienen, zumindest aber als Anreiz, über ihre Funktion in dieser Welt nachzudenken. Das möchte auch Flügge erreichen, er will "die Potenziale erfolgreicher Verkündigung ergründen. Ich will, dass am Ende Predigten endlich wieder besser werden". Ob er einer Modesprache das Wort redet, mit der auch Bratpfannen in der Fußgängerzone verkauft werden können, oder einer unverwechselbaren, verlässlichen Sprache, wird in seinem Buch nicht ganz klar. In vielen Kirchen stehen Schilder: "Ruhe bitte!" Dass es dabei nicht bleiben kann, macht Flügge mit seinem Buch "Der Jargon der Betroffenheit" sehr deutlich.

Erik Flügge: Der Jargon der Betroffenheit. Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt. Kösel Verlag, 16,99 Euro.

Interview mit Erik Flügge

Was kam in der letzten Predigt vor, die Sie gehört haben?

Erik Flügge: Keine Ahnung. Das ist das Problem.

Geht es Ihnen eigentlich nur um die Form oder auch um Inhalt? Oder kann man beides überhaupt voneinander trennen?

Flügge: Ich habe bewusst darauf verzichtet, mich im Umfeld von "konservativ" oder "liberal" zu positionieren. Ich werde biblische Inhalte auch nicht in Frage stellen. Das Sprachproblem der Kirche ist auch davon unabhängig. Man kann Sprache und Inhalt aber dennoch nicht voneinander trennen.

Wie soll man denn mit den Gläubigen sprechen? Mit Luther oder mit Alltagssprache?

Flügge: Luther hat ja selbst gesagt, man müsse dem Volk aufs Maul schauen und er hat die Bibel ins Deutsche übersetzt. Und er hat mit Bibelzitaten argumentiert, was ja damals völlig neu war, weil die Bibel vorher eben nur auf Latein stattfand. Das Problem ist, dass die evangelische Kirche heute noch Luthers Sprache spricht, und das klingt heute wie Latein. Das war damals der Knüller, dass man mit deutschsprachigen Bibelzitaten arbeitete. Das lockt aber heute keinen mehr hinter dem Ofen hervor.

Wenn man früher den altmodischen Prediger hörte, dann kam dreimal pro Predigt die ewige Verdammnis aufs Tapet...

Flügge: Die Zielgruppe für "Verdammnis" ist heute sehr klein geworden. Diesen Trend hat die Kirche verschlafen. Aber das theologische Material ist ja nach wie vor superspannend.

Kann Sprache kann auch ein Werkzeug sein, mit dem man überredet, statt zu überzeugen?

Flügge: Das ist der performative Charakter von Sprache. Die Republikaner haben in den neunziger Jahren das Wort "Das Boot ist voll" geprägt und es hat lange gedauert, bis das Bild wieder verschwunden war. Genauso hat sich das Wort "Der Islam gehört zu Deutschland" im Gedächtnis festgesetzt. Ich habe aber seit Ewigkeiten keinen Text mehr aus der Kirche gehört, der sich in der Psyche der Menschen niedergeschlagen hat. Es gab keinen Bischof, der einmal einen solch einprägsamen Satz gesagt hat.

Es gibt ja Predigt-Coaches.

Flügge: Zu Recht. Aber wie will man ankämpfen gegen zwölf Semester Theologie? Ich habe in Tübingen Theologie studiert. Ich glaube nicht, dass Leute draußen verstanden hätten, was da im Innenhof diskutiert wurde.

Klammern wir das Niveau mal aus: Wird heute viel mehr diskutiert als früher?

Flügge: Wir haben eine viel höhere Diskursdichte als früher, eben auch durch die sozialen Netzwerke. Da kommentiert man schnell, da ist viel mehr Dynamik drin. Verbunden damit ist natürlich auch die Schwierigkeit, so komplexe Themen in diesen Foren zu diskutieren. Letztlich ist es aber nicht die Diskursdichte. Es ist das Beständige in der Kirche, das gelebt werden muss.