Nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei beobachtet die Gesellschaft für bedrohte Völker einen zunehmenden Druck auf die Glaubensgemeinschaft der Aleviten und auf andere Minderheiten im Land. Tausende Aleviten seien inzwischen festgenommen worden oder hätten ihre Arbeit verloren, erklärte der Nahostreferent der Organisation, Kamal Sido, am Montag in Göttingen. Die «streng islamische Regierung» unter Präsident Recep Tayyip Erdogan unterstelle allen Angehörigen der Glaubensgemeinschaft, mit den Putschisten zu sympathisieren.
Sido: "System Erdogan ist eine tödliche Gefahr"
Seit dem Putschversuch seien zehn alevitische Kulturvereine in unterschiedlichen Städten verboten worden, sagte Sido. Zudem seien mehrere Angriffe auf Aleviten gemeldet worden. Die «von Islamisten unterwanderte türkische Polizei» biete den Mitgliedern der Religionsgruppe in der Regel keinen Schutz. «Das System Erdogan stellt eine tödliche Gefahr nicht nur für oppositionelle Türken, sondern vor allem für diejenigen Volksgruppen dar, die sich dem islamistischen System nicht unterordnen wollen», erklärte Sido.
Nach Angaben von Sido ist «fast jeder vierte» Einwohner der Türkei Alevit, andere Quellen sprechen von 15 bis 20 Prozent Aleviten. Die Glaubensgemeinschaft werde in der Türkei nicht als eigenständige Religion anerkannt. Die Zugehörigkeit der Aleviten zum Islam ist umstritten. Sie haben einige Gemeinsamkeiten mit schiitischen Muslimen, es existieren aber auch große Unterschiede.
Auch in Deutschland träten Erdogan-Anhänger immer aggressiver auf, mahnte Sido. Dabei spielten Erdogan-nahe Medien eine entscheidende Rolle: «Sie hetzen gegen Aleviten, Kurden und andersdenkende türkischstämmige Bürgerinnen und Bürger. Es wird versucht, kritische Stimmen mundtot zu machen.» In Deutschland sollen bis zu 800.000 Aleviten leben.