Radikales Leben in humanitärer Mission

Rupert Neudeck
Foto: dpa/Marijan Murat
Rupert Neudeck (Aufnahme vom 6. April 2016)
Radikales Leben in humanitärer Mission
Rupert Neudeck starb im Alter von 77 Jahren
Er war Lebensretter, Grenzgänger und Quälgeist: Rupert Neudeck scheute sich nicht, anzuecken. Er war Mahner und moralisches Gewissen, wenn er bedingungslos Mitmenschlichkeit einforderte.
31.05.2016
epd
Elvira Treffinger

Er war ein Mann des Wortes und der Tat: Als 1979 die Not vietnamesischer Bootsflüchtlinge die Welt aufrüttelte, ruhte Rupert Neudeck nicht. Der Journalist und katholische Theologe wurde zum Initiator der Hilfsaktion Cap Anamur, die im südchinesischen Meer mehr als 11.000 Menschen rettete. Jahrzehnte lang war Neudeck ein oft unbequemer Kritiker, der immer Humanität einforderte. Am Dienstagmorgen starb er überraschend mit 77 Jahren nach einer Herzoperation.

"Radikal leben" heißt sein Buch von 2014. Es ist ein Aufruf zum Widerstand gegen Unmenschlichkeit, Folter, Diskriminierung und Verschwendung. Der Titel steht für das Lebensmotto des hageren Mannes mit dem üppigen weißen Haar und Bart, der unermüdlich das Weltgeschehen kommentierte. So warf Neudeck im Februar Europa Versagen in der Syrien-Krise vor und forderte eine Flugverbotszone. Kurz zuvor geißelte er die Behörden mehrerer Bundesländer dafür, dass sie Flüchtlingen Geld und Wertsachen abnehmen, wenn sie eine gewisse Summe überschreiten.

Tagelange Fußmärsche und riskante Flüge

Nach den Boat People aus Vietnam wandte sich Neudeck schon bald auch der Not in anderen Weltregionen zu. Er reiste um den Globus, appellierte und analysierte, kritisierte und polemisierte. In Talk-Shows und Interviews trat er als Mahner und Moralist auf.

Als "Abenteuer der humanitären Hilfe" hat er das Notärzte-Komitee Cap Anamur einmal bezeichnet. Lange leitete Neudeck die Arbeit, unterstützt von seiner Frau Christel, vom Wohnzimmer in Troisdorf bei Bonn aus, anfangs mit einem sperrigen Telexgerät. Hilfe leisteten er und seine Mitstreiter vor allem dort, wo kein anderer hinkam, in entlegenen Orten in Somalia, im Kongo, im Kosovo oder in Nordkorea.

Tagelange Fußmärsche und riskante Flüge gehörten dazu. So überquerte Neudeck als Mudschaheddin verkleidet auf dem Weg nach Afghanistan eisige Hochgebirgspässe. Im Dezember 1999 stapfte er mit einem Medikamententransport durch das Felsenmeer der Nuba-Berge im heißen Südsudan, begleitet von den CDU-Politikern Heiner Geißler und Norbert Blüm. Den zehntägigen Marsch nannte er später "ein im besten Sinne spirituelles Erlebnis".

"Der Auftrag des Evangeliums ist, Menschen zu helfen"

Auf Regierungsstellen und UN-Organisationen wie Unicef war Neudeck selten gut zu sprechen: zu schwerfällig und zu langsam. Auch frühere Weggefährten traf Neudecks Zorn: 2004 überwarf er sich mit dem damaligen Cap-Anamur-Vorsitzenden Elias Bierdel, der in einer umstrittenen Rettungsaktion afrikanische Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Italien gebracht hatte. Neudeck sprach von Rufschädigung, Bierdel von Zynismus.

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Streng war Neudeck auch gegen sich selbst: Als junger Novize hatte er sich in einem Jesuiten-Kloster bis zur Erschöpfung in Askese, Fasten und Geißelungen geübt, dann kehrte er aber dem Orden den Rücken. Bedürftigen wollte er immer nahe sein und übernachtete zum Beispiel bei den Krankenpflegern im Keller eines Hospitals. Als Motive nannte Neudeck seine harte Zeit und Rettung als Kind auf der Flucht aus Danzig - und seinen Glauben: "Der Auftrag des Evangeliums ist, Menschen zu helfen, wo sie in Not sind."

Von Grenzen, Visaregeln, Reisewarnungen oder politischen Rücksichten ließ sich Neudeck nie abhalten. Auch als er 2003 die Grünhelme gründete, einen Verein, der junge Muslime und Christen zur gemeinsamen Aufbauarbeit nach Afghanistan oder den Irak schicken will. "Es ist eine große Gunst, dass die freie Gesellschaft uns erlaubt, Dinge zu tun, die die Regierung nicht will," sagt er.

Geist der 68er-Bewegung

Bittere Erfahrungen blieben nicht aus: Im Sommer 2013 wurden drei deutsche Grünhelme im Norden Syriens verschleppt, die erst Monate später freikamen. Neudeck räumte ein, die Gefahr unterschätzt zu haben: "Da habe ich mich sehr stark geirrt, und ich bin sehr betroffen davon." Im selben Jahr gab er die Leitung der Grünhelme ab und wurde Ehrenvorsitzender.

Kritiker in großen Hilfswerken warfen Neudeck vor, als Polit-Dilettant in Krisengebieten viel Staub aufzuwirbeln, ohne sich um das Danach zu kümmern. Indes forderte er große Organisationen heraus, mehr für vernachlässigte Völker wie die Nuba im Sudan zu tun. Oft verkündete er auch freimütig umstrittene Ansichten wie sein Lob für Ruandas Präsident Paul Kagame trotz dessen Polizeistaatsmethoden.

Manche sahen in Neudeck einen Revolutionsromantiker. Den Romantiker verneinte er, zum Geist der 68er-Bewegung und zu den französischen Existenzialisten bekannte er sich aber klar: "Ich bin mit Sartre und Camus groß geworden - da spielt die Revolte eine große Rolle."