Das sei positiv: "Nicht jeder weiß heute, was 'aufgeklärtes christliches Abendland' bedeutet", sagte Claussen: "Es ist nötig, sich damit auseinanderzusetzen: Was ist unsere Geschichte, was aus dieser Tradition ist heute noch lebendig?"
Das 500. Reformationsjubiläum im kommenden Jahr sei eine gute Gelegenheit, dieser Frage nachzugehen, sagte Claussen. Es lohne sich, wieder einmal die Bibel anzuschauen, dieses "Buch von Flüchtlingen für Flüchtlinge, für Vertriebene und Exilierte". Die eigene religiöse Herkunft sei "uns fremd geworden", sagte der lutherische Theologe. Im Herbst erscheint im Verlag C.H. Beck Claussens Buch "Die 95 wichtigsten Fragen: Reformation", das sowohl Grundwissen vermitteln als auch zu weiterem Nachdenken animieren will.
Claussen, der am 10. Mai 100 Tage im Amt ist, nannte Kulturbegegnung und kulturelle Konflikte als großes Thema und künftige Aufgabe. Da wolle er sich "einklinken". Das Humboldt-Forum im neu erwachsenen Berliner Schloss sei der Versuch, Kulturen der Welt miteinander ins Gespräch zu bringen, sagte der frühere Hamburger Propst, und dieser Dialog sei wesentlich religionspolitisch und theologisch charakterisiert.
Er wolle sich zudem Theatern, Museen und Kultureinrichtungen als theologischer Gesprächspartner und "religionspolitischer Dolmetscher" anbieten, sagte der Kulturbeauftragte der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD). Dass dort religiöse Themen verhandelt würden, trete offen zutage. Daneben sei es ihm wichtig, "nach innen in die Kirche zu wirken", sagte Claussen: "Ich möchte das Gefühl und den Selbstwert stärken, dass wir auch eine Kulturkraft sind."
Als zweiten großen Schwerpunkt - neben dem interkulturellen Dialog - bezeichnete der 51-Jährige die Erinnerungs- und Gedenkkultur. Berlin sei "gesegnet und vergiftet mit Erinnerungen", sagte Claussen in Anspielung auf die jüngere Geschichte mit zwei Weltkriegen, NS-Regime, Teilung und Mauerfall. Akzente setzen würde er gern zu den Themen Flucht und Vertreibung, die eine neue Aktualität und Dringlichkeit erhalten hätten.