Rom (epd) Papst Franziskus ist mit dem Internationalen Karlspreis ausgezeichnet worden. Bei der Verleihung am Freitag im Vatikan sagte das katholische Kirchenoberhaupt, die Europäische Union müsse sich verstärkt um Integration und Dialog bemühen. "Gerade in dieser unserer zerrissenen und verwundeten Welt ist es notwendig, zur Solidarität der Tat zurückzukehren", sagte Franziskus. Bei einer Privataudienz hatte er unmittelbar vor der Verleihung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über Integration in Europa gesprochen.
Solidarität nicht mit Almosen verwechseln
Der aus Argentinien stammende Franziskus nahm den Karlspreis zu Aachen vor zahlreichen europäischen Spitzenpolitikern entgegen, unter ihnen Kanzlerin Merkel, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk. Auch der spanische König Felipe VI. war in den Vatikan gereist.
Die Fähigkeit, sich immer wieder aufzurichten, gehöre zur "Seele Europas", auch wenn der Wunsch, die Einheit aufzubauen, immer mehr erloschen zu sein scheine, sagte Papst Franziskus in seiner Dankesrede. Ziel von Integration müsse eine Solidarität sein, die "nie mit Almosen verwechselt werden darf", mahnte der Papst: "Ich träume von einem Europa, in dem Migrantsein kein Verbrechen ist", sagte er angesichts der Flüchtlingskrise.
Das aktuelle Wirtschaftssystem fördere Korruption zur Erzielung von Gewinnen. Es müsse durch eine soziale Wirtschaft abgelöst werden, die Zugang zu Arbeit für alle garantiere.
Das Kirchenoberhaupt erhielt den Karlspreis "in Würdigung seines herausragenden Engagements für Frieden, Verständigung und Barmherzigkeit in einer europäischen Gesellschaft der Werte". Franziskus ist der zweite Papst nach dem 2005 verstorbenen Johannes Paul II., der den Karlspreis verliehen bekam. Der undotierte Internationale Karlspreis zu Aachen gilt als einer der wichtigsten Auszeichnungen. Er wird seit 1950 an Personen und Institutionen verleihen, die sich um die Einigung Europas verdient gemacht haben.
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) sagte in seiner Rede bei der Verleihung unter Hinweis auf die Flüchtlingskrise, die Europäische Union stehe vor einer "Zerreißprobe". Der Kontinent laufe Gefahr, das Erbe von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und grenzüberschreitender Zusammenarbeit zwischen Völkern zu verspielen. Populisten schürten in der Flüchtlingskrise Ängste, anstatt nach Lösungen zu suchen. "Angst mag verständlich sein, aber sie ist kein guter Ratgeber für Politik", sagte Schulz.
Fast nur noch im Zusammenhang mit Krisen
EU-Kommissionspräsident Juncker sagte, das europäische Projekt habe sich nicht überholt, es sei aktueller denn je. Die EU sei "das gelebte Bekenntnis zur Würde des Menschen, zu Miteinander und sozialem Frieden". EU-Ratspräsident Tusk nannte die Europäische Union einen "Glaubensgrundsatz".
Der ehemalige EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering (CDU) und heutige Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung erinnerte bei der Verleihung an den jüngsten Besuch des Papstes auf Lesbos. Dort habe Franziskus nicht nur Verständnis für die Sorgen der Flüchtlinge gezeigt, sondern auch für die Länder, die sich bislang einer gemeinsamen europäischen Lösung verweigerten. Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, nannte den Karlspreis für Franziskus in einer schriftlichen Würdigung ein starkes Zeichen, "das wir für das Friedensprojekt Europa brauchen".
Der Aachener Oberbürgermeister Marcel Philipp (CDU) beklagte bei der Verleihung, Europa werde fast ausschließlich im Zusammenhang mit Krisen erwähnt. Die Antwort auf die Erosion des kulturellen und moralischen Fundaments in Europa sei vielfach Hilflosigkeit.