Frankfurt a.M. (epd) Zur Verschleierung gibt es im Islam keine eindeutigen Vorschriften. Umstritten ist, ob Frauen überhaupt bestimmte Körperteile bedecken sollen, und wenn ja, welche und wie. Die Spanne reicht vom einfachen Tuch über den Haaren über ein Kopftuch, das auch die Brust bedeckt, bis hin zu wallenden Ganzkörpergewändern mit und ohne Abdeckung des Gesichts, teils mit Augenschlitzen oder sogar durchscheinenden Tüchern oder Netzstoff vor den Augen. Auch die Bezeichnungen variieren. Klar sei aber, sagt die Islamwissenschaftlerin Catharina Rachik: "Der Koran sagt nicht explizit, Kopftuch oder Burka sind Pflicht." So sah das auch das Bundesverfassungsgericht, als es Anfang 2015 über Kopftücher bei Lehrerinnen entschied: Der genaue Inhalt der Bekleidungsvorschriften für Frauen sei unter islamischen Gelehrten umstritten.
Rachik promoviert am Zentrum für islamische Theologie in Münster und arbeitet mit dessen Leiter Mouhanad Khorchide an einem historisch-kritischen Korankommentar. Welcher Bekleidungsvorschrift die Frau folgt, deren Verhalten vor dem Münchner Amtsgericht in die Schlagzeilen geraten ist, kann Rachik aus der Ferne nicht sagen. Ungewöhnlich sei der bodenlange Ledermantel. Sie würde es am ehesten als Burka bezeichnen.
Kein Konsens unter Gelehrten
Nach groben Schätzungen leben laut Rachik in Deutschland 200 bis 300 komplett verhüllte muslimische Frauen. Hier bedeute die Entscheidung für eine Burka, "sich von vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu verabschieden, zum Beispiel von Arbeitsmöglichkeiten".
Auch darüber, in welchen Fällen der Schleier abgelegt werden dürfe, gebe es keinen Konsens unter den Gelehrten, sagt Rachik. Manche sagten, beim Arzt, bei Zeugenaussagen wie in München, für Passfotos und zur Identitätsüberprüfung auf Flughäfen oder bei Prüfungen sei es gestattet. Andere Gelehrte sähen das anders.
Das Wort Hidschab stehe sieben Mal im Koran, aber nicht immer im Sinne von Kopftuch, sondern auch in seiner eigentlichen Bedeutung von Schleier oder Vorhang, sagt Rachik. So in Sure 42, Vers 51: "Und es steht keinem Menschen zu, dass Allah mit ihm spricht, es sei denn durch Eingebung oder von hinter einem Schleier oder durch Entsendung eines Gesandten." In der Koranexegese werde auch erwähnt, Moses habe sein Gesicht verhüllt, weil er sich vor Gott fürchtete.
Islamwissenschaftlerin: Es gibt Auslegungsspielräume
Im Zentrum der Diskussion über die Kleidungsvorschriften stehen zwei Koran-Verse. Dabei gebe es Auslegungsspielräume, sagt Rachik. Denn entscheidend seien Interpretationen und Übersetzungen. Im Vers 31 der Sure 24 geht es um Geschlechtertrennung im öffentlichen Raum. "Und sage den gläubigen Frauen, dass sie ihre Blicke senken und ihre Keuschheit wahren und ihre Reize nicht zur Schau stellen sollen, außer was (anständigerweise) sichtbar ist; und dass sie ihre Tücher über ihren Busen schlagen und ihre Reize nur ihren Ehegatten zeigen sollen...", übersetzte der Islamwissenschaftler Max Henning 1901. Nicht ausgeführt sei, was genau die Reize der Frau seien, sagt Rachik. Je nach Auslegung sind es Haare, Augen, Hände oder sogar die gesamte Aura der Frau.
Einerseits eindeutiger, dann aber auch wieder komplizierter wird es im Vers 59 der Sure 33. Deutlich scheint hier, dass die Frauen etwas über sich ziehen sollen. Aber wie? Henning übersetzt: "O Prophet! Sage deinen Frauen und deinen Töchtern und den Frauen der Gläubigen, dass sie etwas von ihrem Übergewand über sich ziehen sollen. So werden sie eher erkannt (als anständige Frauen) und (daher) nicht belästigt."
Der Islamwissenschaftler Rudi Paret übersetzte 1966, sie sollen "sich etwas von ihrem Gewand (über den Kopf) herunterziehen" - das spräche für ein Kopftuch. Der katholische Theologe Adel Theodor Khoury hingegen übersetzt: "Sie sollen etwas von ihrem Überwurf über sich herunterziehen." Das bedeute, komplett über das Gesicht ziehen, sagt Rachik. Von dieser Art der Übersetzung würden Nikab oder Burka, also die Ganzkörperverhüllung mit Gesichtsschleier, abgeleitet.