«Riesige Gestaltungsaufgabe»

epd-bild/Juergen Blume
Karsten Sach, Deutschlands Chef-Unterhändler beim Pariser Klimagipfel.
«Riesige Gestaltungsaufgabe»
Karsten Sach, der deutsche Chef-Unterhändler bei den UN-Klimakonferenzen ist überzeugt: Globaler Klimaschutz braucht mehr Geldgeber. Im Gespräch mit dem epd zeigt er sich optimistisch, dass der Gipfel in Paris mit einem Abkommen enden wird.
27.11.2015
epd
Stefan Fuhr (epd-Gespräch)

Berlin (epd)Karsten Sach (56) ist Deutschlands wichtigster Klimadiplomat: Seit 1999 vertritt er die Bundesrepublik bei den UN-Klimakonferenzen als Chef-Unterhändler. Seiner Ansicht nach lässt sich beim Klimaschutz nicht alles in einem internationalen Vertrag regeln. Die Gesellschaften müssten den Weg zu einer CO2-freien Wirtschaft auch selbst vorantreiben.

Rahmenbedingungen besser

epd: Herr Sach, beim UN-Klimagipfel in Paris soll der Weltgemeinschaft gelingen, womit sie 2009 in Kopenhagen gescheitert ist: Die Verabschiedung eines globalen Klimaabkommens. Wie beurteilen Sie die Voraussetzungen für den neuen Versuch?

Sach: Die Rahmenbedingungen sind besser, wir sehen deutlich mehr politisches Engagement. So haben sich die bisherigen Kontrahenten China und USA über ihre Klimaziele geeinigt. Es gibt Deklarationen zum Klimaschutz zwischen Deutschland und den großen Schwellenländern Indien und Brasilien. Darüber hinaus sind die Alternativen für klimafreundliches Handeln größer geworden: In den meisten Märkten sind erneuerbare Energien inzwischen wettbewerbsfähig geworden.

epd: In Bonn haben sich die Staatenvertreter Ende Oktober auf einen Entwurf für den Klimavertrag geeinigt. Was taugt das Papier?

Sach: Vor dem Gipfel von Kopenhagen hatten wir einen Entwurf von 200 Seiten mit 5.000 eckigen Klammern. Jetzt haben wir 55 Seiten, ebenfalls mit etlichen Optionen. Auch diese Textgrundlage ist nicht sehr befriedigend, aber immerhin haben wir jetzt eine deutliche bessere Struktur als 2009. Die Punkte, die wir auf Beamtenebene noch nicht geklärt haben, sollten wir in den politischen Verhandlungen lösen können.

epd: Rund 160 Staaten haben im Vorlauf zum Gipfel nationale Klimaschutz-Ziele vorgelegt. Laut Bericht des UN-Klimasekretariats wird damit das angestrebte Zwei-Grad-Ziel nicht erreicht. Kann auf dieser Grundlage ein wirksamer Klimavertrag entworfen werden?

Sach: Wenn die Aktionsprogramme der Länder umgesetzt werden, erreichen wir eine Trendwende. Ohne diese Anstrengungen würde die Erdtemperatur um 4,5 Grad steigen, mit ihnen steuern wir auf 2,7 bis drei Grad zu. Aber auch das ist noch circa ein Grad zu viel. Insofern ist das Glas nur halb voll. Deshalb ist es wichtig, dass die Staaten sich in dem neuen Abkommen verpflichten, ihre Klimaschutz-Ziele regelmäßig nachzubessern.

Grundlegende Transformation

epd: Aber die konkreten Ziele zur Treibhausgas-Minderung sollen - anders als im Kyoto-Protokoll für die Industriestaaten - nicht rechtsverbindlich in den Vertrag aufgenommen werden...

Sach: Eine CO2-freie Welt ist eine riesige Gestaltungsaufgabe: Dazu brauchen wir eine grundlegende Transformation der globalen Wirtschaft und der Gesellschaften. Zu erwarten, dass dies in einem Vertragsrahmen mit 196 Parteien vorab rechtlich in allen Details geregelt werden kann, überfordert das internationale System. Der Übergang von der Postkutsche zur Eisenbahn und später zum Auto und zum Flugzeug ist auch nicht staatlich vereinbart worden. Wir brauchen eine Mischung: Eine stabile, langfristig angelegte Vertragsarchitektur, welche die Transformation begünstigt, und Gesellschaften, die diesen Wandel selbst gestalten und vorantreiben.

epd: Wo liegen die Knackpunkte der Verhandlungen?

Sach: Gerungen wird unter anderem um einen Mechanismus, mit dem die Staaten ihr Klimaschutzengagement regelmäßig steigern, und um Transparenzregeln: Nach den Vorstellungen der EU sollen die Länder ihre Klimaziele alle fünf Jahre einer Prüfung unterziehen und fortentwickeln. Wir müssen uns auch auf ein globales Langfristziel zur Minderung der Treibhaugase einigen, etwa auf den Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas bis Ende des Jahrhunderts.

epd: Ein Dauerstreit zwischen reichen und armen Ländern ist die Finanzierung des globalen Klimaschutzes und der Anpassung an den Klimawandel. Helfen die Industriestaaten zu wenig?

Sach: Das Geld für Klima-Hilfen kann nicht nur von den klassischen Gebern, also den Industriestaaten, kommen. Deren öffentliche Mittel können nur ein Hebel sein, um die Schaffung von notwendigen Rahmenbedingungen in den Ländern zu unterstützen und privates Investment beispielsweise durch Subventionen in Erneuerbare Energien zu lenken. Die Frage ist auch: Wer trägt wie viel unter den Staaten bei? Unter den fünf Nationen mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen sind vier Länder, die keine herkömmlichen Industriestaaten sind, zum Beispiel Katar. Die klassische Dichotomie zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern gehört der Vergangenheit an.

Austausch zwischen Entwicklungsländern

epd: Wie also soll künftig Klimaschutz in armen Staaten gefördert werden?

Um die globale Transformation zu schaffen, ist es notwendig, dass alle Staaten einen Beitrag leisten. Die Unterstützung kann je nach Land sehr unterschiedlich sein. Deutschland hilft beispielsweise beim Aufbau der notwendigen Institutionen und fördert konkrete Klimaschutzprojekte. Aber auch der Austausch zwischen Entwicklungsländern ist sehr wichtig, etwa bei Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel oder beim Waldschutz. Und natürlich brauchen wir Beiträge zu internationalen Klimaschutzfonds, wie im Falle des Grünen Klimaschutzfonds bereits geschehen. Dass es viele sehr arme Länder gibt, die unsere Unterstützung brauchen, ist unbestritten.

epd: Bei vergangenen Gipfeln hat sich die Staatengemeinschaft verpflichtet, ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar für Klimaschutz und Anpassung in den armen Ländern bereitzustellen. Wird das Ziel erreicht?

Sach: Laut OECD sind im Durchschnitt der Jahr 2013 und 2014 schon jeweils 57 Milliarden Dollar geflossen. Damit ist ein gutes Stück des Weges gegangen. Aber es ist auch klar, dass die wirtschaftlich starken Länder mehr Geld auf den Tisch legen müssen oder mehr private Investitionen anregen, um die 100 Milliarden Dollar zu erreichen.

epd: Arme Staaten verlangen, dass auch der Umgang mit Schäden durch die Erderwärmung geregelt wird. Vor allem die USA sträuben sich gegen einen Passus dazu im Vertrag. Wie steht die EU dazu?

Sach: Solidarische Hilfe für Staaten, die Schäden erleiden, ist uns wichtig. Beim Klimagipfel 2013 in Warschau haben wir daher einen Mechanismus entwickelt, der Katastrophenvorsorge und den Aufbau von Frühwarnsystemen fördern soll. Die Bundesregierung hat im Rahmen ihrer G-7-Präsidentschaft zudem eine Initiative gestartet, die 400 Millionen Menschen mit Versicherungen gegen Umweltschäden ausstatten soll. Dagegen lehnen wir eine Staatenhaftung und Entschädigungen ab, wie es manche Länder verlangen. Ob das Thema in den Vertrag aufgenommen wird, hängt also von der Formulierung und Ausgestaltung ab.

Marathon mit Nachtsitzungen

epd: Wäre es nicht gerecht, wenn die Staaten, die für den Klimawandel hauptverantwortlich sind, für die Folgen haften?

Sach: Wir würden mit einem solchen System vor allem Anwälte mästen. Denn es ist unglaublich schwierig bis unmöglich, einen konkreten Wirbelsturm auf eine bestimmte Ursache wie den Klimawandel zurückzuführen. Manchmal sind auch Fehlentwicklungen in den Staaten selbst dafür verantwortlich, dass sich Umweltschäden besonders drastisch auswirken.

epd: Herr Sach, der Klimagipfel in Paris wird wohl wieder ein Marathon mit vielen Nachtsitzungen. Kommen Sie da als Verhandler an physische Grenzen?

Sach: Das wird mein 18. Klima-Gipfel. Es ist immer noch interessant, aber der Schlafentzug ist anstrengend. Man meint, dass man im Alter weniger Schlaf braucht - aber dem ist nicht so. Die Belastungen steckt man nicht mehr so einfach weg wie mit Anfang 30.