Schlicht wirkt die Kirche der Mennoniten in Hamburg-Altona von innen. Abgesehen von einem Blumengesteck ist der Raum schmucklos, lediglich vier alte Ölporträts an den Seitenwänden zeigen die bekannten Prediger der Gemeinschaft. In der Mitte des Chorraums, wo in anderen Kirchen der Altar steht, blicken die Mennoniten auf eine erhöhte Holzkanzel. Denn die Predigt und das Wort Gottes stehen im Zentrum der ältesten evangelischen Freikirche der Reformation, die einst aus der Täuferbewegung hervorging.
Ungewohnt für Außenstehende ist die Aufteilung des Chorraums. Rechts und links neben der Kanzel sitzen die ehrenamtlichen Prediger und die gewählten Vertreter des Kirchenrats. Bei den Mennoniten wird vieles "basisdemokratisch" entschieden, zum Beispiel ob der Pastor und die ehrenamtlichen Prediger und Kirchenräte weitere sieben Jahre den Dienst in der Gemeinde versehen sollen oder nicht. Oder für welche Hilfsprojekte sich die Kirche engagiert. Mennoniten pflegen ihren "antiklerikalen Charakter", erläutert Pastor Bernhard Thiessen die Strukturen seiner Gemeinschaft, es gibt keine Hierarchie der Ämter.
Langsam füllen sich die Bänke. 60 von insgesamt 384 Gemeindegliedern kommen an diesem Ewigkeitssonntag. Viele reisen aus entfernten Stadtteilen oder dem Umland an, sie werden in diesem Gottesdienst ihrer Verstorbenen gedenken. Der Organist begleitet das Kirchenlied "Wachet auf, ruft uns die Stimme" von Philipp Nicolai aus dem Jahr 1598. Die fröhliche Melodie unterstreicht die Hoffnung auf Auferstehung. Der alte Text kündet von der mystischen Hochzeit Christi mit der menschlichen Seele, dargestellt im Sinnbild der Jungfrau, die auf den Bräutigam wartet. Mit einem Lichterritual wird das Gedenken gestaltet. Zu jedem vorgelesenen Namen eines Verstorbenen gehen Angehörige nach vorne und zünden eine Kerze an. Am Ende leuchten mehr als 20 Lichter, nicht nur für die Toten der Gemeinde. Auch für alle anderen Toten, die Opfer von Attentaten und auch die Täter. Mennoniten betonen Christi Ideal der Feindesliebe - allerdings muss jeder für sich entscheiden, was das konkret bedeutet.
Auferstehungs-Theologie mit Eberhard Jüngel und Bob Marley
Thema der Lesung sind zwei Paulusbriefe aus dem Neuen Testament (Römer 6,1-11 und 8,38-39; 1. Korinther 15,35,42-44, 55-57), keine leichten Texte: Es geht um die Auferstehung. Pastor Thiessen steigt auf die Kanzel. 20 Minuten lang spricht er über die Entwicklung des Auferstehungsgedankens, angefangen vom Scheol (Schattenreich) aus der hebräischen Bibel bis zur Auferstehungstheologie des Apostels Paulus. Erst im 2. Jahrhundert vor Christus erstarkte im Judentum die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod, das Gerechtigkeit und einen Ausgleich verspricht für die Leiden in der Welt. Thiessen ist seit 14 Jahren gewählter Pastor der Gemeinde, er probiert gerne neue Gedankengänge aus.
So zitiert er zum Beispiel auch Bob Marley und Woody Allen. Die Auferstehungsgeschichte muss nicht bitterernst vorgetragen werden, findet Thiessen. Die Betonung legen Mennoniten ohnehin aufs Diesseits. Es gibt eine Hoffnung, sagt der Pastor. Es ist "die Beziehung Gottes zum Menschen" und dass "Gott den Menschen auch im Tod nicht verlässt". Er baut Gedanken aus der Theologie Eberhard Jüngels aus Tübingen ein: "Tod bedeutet Beziehungslosigkeit." Und Sünde ist keine moralische, sondern eine theologische Kategorie: Sünde heißt, Gott und damit sein Lebensziel zu verfehlen. Im Umkehrschluss bedeutet das: "Durch Jesu Christus sind wir in Ewigkeit mit Gott in Beziehung. Deshalb können wir Jesus nachfolgen und nach seiner Gerechtigkeit suchen."
Es bleiben Fragen, die die Theologie nicht erklären kann. "Wie Gott mit der Trennung von Person und Tat am Ende umgeht - diese Gedanken müssen wir noch mehr vertiefen", schließt der Pastor. Dennoch brauche niemand Angst vor dem Tod und der Ewigkeit zu haben. "In der Taufe und in der Beziehung zu Gott bist du hineinversenkt und herausgehoben, so dass du nicht ins ewige Nichts fällst, sondern mit Gott in Jesus Christus verbunden bleibst." Nach so viel geistiger Nahrung braucht die Gemeinde ein Orgellied zum Verschnaufen.
Weil Totensonntag ist, feiert die Mennonitengemeinde in Altona das Abendmahl. "Ein seltenes Ereignis, was nur drei bis fünf Mal im Jahr an hohen Feiertagen stattfindet", erläutert Kirchenvorsteher Thomas Schamp. Das Abendmahl ist wie bei den reformierten Christen als Erinnerungsmahl zu verstehen. Ausdrücklich wird niemand vom Mahl ausgeschlossen. Der Pastor und die ehrenamtlichen Helfer versammeln sich um den kleinen Tisch mit Traubensaft und Brot. Beim Abendmahl geht es um die Verbundenheit mit Jesus Christus und der Gemeinde untereinander. Thiessen betet: "Guter und barmherziger Gott (...), sende du uns und deiner ganzen Welt deinen heiligen Geist, dass er uns hilft, einander anzunehmen, wie du uns angenommen hast in deinem Sohn. Das Brot verbinde uns untereinander mit deiner Liebe und deinem Leben, die Frucht des Weinstocks stärke uns untereinander mit dem Leiden und dem Sterben deines Sohnes." Die Einsetzungsworte besagen, dass das Mahl zum Gedächtnis an das letzte Abendmahl Jesu geschieht. Die Helfer reichen Brotstücke und die Kelche mit Traubensaft von Bank zu Bank. Alles geschieht schweigend.
Nach Vaterunser, Segen und Abschlusslied trifft sich die Gemeinde noch zum Kaffee im Nebenraum. Was lebhaft genutzt wird - an diesem Tag auch, um den Gottesdienstabauf zu reflektieren: Ja, es gibt Unterschiede zum lutherischen Ablauf. Es wird kein Sündenbekenntnis und kein Glaubensbekenntnis gesprochen und doch ist dies deutlich eine evangelische Tradition. Mennoniten sind in ihrer Liturgie völlig frei.
Alte Gemeinde auf St. Pauli
Die Hamburger Gemeinde gibt es seit mehr als 400 Jahren. Als die Gläubigen aus Friesland und Amsterdam fliehen mussten, kam auch Menno Simons nach Holstein, zwei Tagesmärsche nördlich von Hamburg. In der Hansestadt waren die ersten Mennoniten zunächst Walfänger, später Händler und Reeder. Sie hielten an ihrem Glauben fest und 200 Jahre lang wurde im Gottesdienst nur niederländisch gesprochen. Heute stammt ein Teil der Gemeinde aus der Weichselgegend in Polen, wohin ihre Mennonitenvorfahren aus Holland geflohen waren.
Vor den Toren Hamburgs, an der Großen Freiheit in St. Pauli, stand zuvor ihr Kirchlein. Doch vor 100 Jahren wollte die wohlhabende Gemeinde raus aus dem Rotlichtviertel. Zuviel Schankwirtschaft vor den Türen, das gefiel den Mennoniten nicht. Die Stadt bot ein Grundstück zum Tausch an. In Altona sollte ein schmuckes Villenviertel entstehen, doch daraus wurde nichts. Die damals wohlhabende Gemeinde baute zwar eine schöne Backsteinkirche, doch die Gegend entwickelte sich zu einem eher schlichteren Wohngebiet.
Gegenüber der Altonaer Mennonitenkirche entstand zeitgleich vor 100 Jahren die evangelisch-lutherische Pauluskirche. Über die Jahre entwickelte sich eine gelebte Ökumene. Als die Pauluskirche im Krieg zerbombt wurde, boten die Mennoniten ihre Kirche an und man feierte im Wechsel 14-tägig Gottesdienste, erzählt Pressereferentin Heike Höpner. Heute vertreten sich die Organisten im Krankheitsfall gegenseitig und auch in der Flüchtlingshilfe wird eine Zusammenarbeit angestrebt. Die Hamburger Gemeinde ist politisch den sozial Engagierten zuzurechnen und theologisch liberal eingestellt.