Das letzte Hemd

epd-bild / Charlotte Morgenthal
Die Leiterin der Paramentenwerkstatt im evangelischen Kloster St. Marienberg in Helmstedt, Ute Sauerbrey, arbeitet an einem Totenkleid.
Das letzte Hemd
Die Paramentenwerkstatt in Helmstedt stellt Totenkleider her
Das individuell geschneiderte Kleid werden die Käufer an sich nie sehen. Erst nach dem Tod wird ihnen das «letzte Hemd» übergestreift. Die Paramentenwerkstatt im niedersächsischen Helmstedt stellt seit kurzem wieder Totenkleider her.
13.10.2017
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Charlotte Morgenthal (epd)

Helmstedt (epd)Die erste Kundin, die ein Totenkleid kaufen wollte, war etwa 40 Jahre alt. "Sie wollte, dass ihre Töchter im Todesfall nur noch in die Truhe greifen müssen", erinnert sich die Klostervorsteherin Mechthild von Veltheim an diesen ungewöhnlichen Wunsch. Die mehr als 100 Jahre alte Paramentenwerkstatt im evangelischen Kloster St. Marienberg bei Helmstedt produziert seit 2009 neben liturgischen Gewändern und Textilien auch Totenkleidung.

Ein neues Totengewand haben die Stickerinnen der Werkstatt gerade fertiggestellt: Ein schlichter, bodenlanger Schnitt, aus dünnem weißen Leinen, kunstvoll per Hand bestickt. Unterhalb des Kragens ist ein verschlungenes Alpha- und Omega-Zeichen symbolisch für den Anfang und das Ende des Lebens eingestickt. Das Kleid ist einer Schneiderpuppe angelegt, die zwischen den Webstühlen im holzvertäfelten Werkstattraum steht. An umliegenden Tischen arbeiten einige der insgesamt 13 angestellten Näherinnen. Sie verzieren Textilien mit Stickereien oder restaurieren behutsam historische Stoffe.

Immer eine Einzelanfertigung

Werkstatt-Leiterin Ute Sauerbrey betont, dass bei der Gestaltung der Sterbehemden der Fantasie und den Wünschen der Kunden keine Grenzen gesetzt sind. "Manche Kleider haben wir mit Perlen oder aufgestickten Efeu-Blättern verziert." Eine Kundin wollte beispielsweise nicht, dass später ihre gealterten Hände und der Hals zu sehen sind. Die Näherinnen haben daher Manschetten und Kragen aus Spitze an das Kleid genäht.

Wichtig sei auch, dass das Kleid für die Bestatter einfach zu handhaben ist, betont Sauerbrey. Die Ärmel dürfen nicht zu schmal sein. Hinten sind die Kleider, ähnlich wie bei einem OP-Hemd aus dem Krankenhaus, offen. Eine weitere Vorgabe kommt von den Friedhofsverordnungen. Die verwendeten Textilien müssen in der Erde auch verrotten. Stoffe wie Baumwolle, Leinen oder leichte Wollstoffe eigneten sich dafür, sagt Sauerbrey. "Chemiefasern gehen nicht."

Oft wird nur der obere Teil des Kleids verziert, da die Beine der Toten oft noch zugedeckt werden, sagt Sauerbrey. Trotzdem: Jedes Stück ist eine Einzelanfertigung. Wer sich das "letzte Hemd" in Helmstedt bestellt, zahlt dafür etwa 600 Euro. Während ein spezielles Totenkleid in einer Truhe für das Ableben mit spezieller Totenkleidung früher noch zur Normalität gehörte, gebe es heute nur vereinzelt Anfragen nach den Sterbehemden.

Wechselvolle Geschichte

Die Oldenburger Kulturwissenschaftlerin Traute Helmers stellt fest, dass Kleidungswünsche derzeit immer individueller werden. Helmers forscht seit Jahren zu dem Thema Totenkleidung. In ihren Studien hätten die Interviewpartner häufig geäußert, dass die Hinterbliebenen sie so in Erinnerung behalten sollten, wie sie im Leben waren. Einer habe beispielsweise festgelegt, dass seinem Körper ein Parka aus den 60er Jahren übergestreift werden sollte.

Die Geschichte der Totenkleider sei von einer wechselvollen Geschichte geprägt, sagt Helmers. Immer wieder spiegele sich darin auch das jeweilige Verhältnis der Gesellschaft zum Tod wider. Während der Pest im 15. Jahrhundert seien die Toten beispielsweise nicht aufgebahrt worden, da sie als unrein galten.

Ab dem 16. Jahrhundert ändert sich diese Haltung. Die individuelle Lebensgeschichte und das Repräsentieren der eigenen Leistung wurden Helmers zufolge wichtiger. Lange sei es ein Privileg des Adels gewesen, die Leiche herauszuputzen, bis sich auch wohlhabende Bürgerfamilien dies leisten konnten.

Immer weniger ein Tabuthema

Wirtschaftlich erlebte die Totenkleidung vom 19. Jahrhundert an ihren Aufschwung. Sterbekleider in Konfektionsgrößen waren teilweise in eigenen Kaufhäusern zu erwerben. Derzeit sei der Tod immer weniger ein Tabuthema, ist Helmers überzeugt. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben helfe beim Bewältigen von oft diffusen Ängsten.

Auch Klostervorsteherin von Veltheim bestätigt: Traurig sei die Beschäftigung mit der Totenkleidung nicht. "Irgendwann müssen wir uns alle mit dem Tod beschäftigen. Das gehört genauso zum Leben dazu."