Hamburg (epd)Drei Neuerungen des deutschen Protestantismus nach 1945 sind bis heute mit dem Namen Heinz Zahrnt (1915-2003) verbunden: das "Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt", der Deutsche Evangelische Kirchentag und die Evangelischen Akademien. Ab 1951 war Zahrnt 25 Jahre lang Chefredakteur des "Sonntagsblatts" in Hamburg, dem Präsidium des Kirchentags gehörte von 1960 bis 1999 an, von 1971 bis 1973 als Präsident. Und in den Akademien hielt Zahrnt als meinungsfreudiger und streitbarer Theologe zahllose Vorträge.
Studentenpfarrer in Kiel
Zahrnt wurde vor 100 Jahren, am 31. Mai 1915, in Kiel geboren. Er stammte aus einem "mild-christlichen Elternhaus", der Vater war Filialleiter einer Bank. Der Religionsunterricht in der Schule habe ihm "nicht geschadet", ihn aber "auch nicht gefördert", erzählte er einmal. Dennoch studierte er Theologie, Philosophie und Geschichte. Unmittelbar nach dem Krieg war er für fünf Jahre ein beliebter Studentenpfarrer in Kiel, wechselte dann aber in den Journalismus.
Das "Sonntagsblatt" habe von Beginn an als "urliberale Wochenzeitung" gegolten, sagt Wolfgang Teichert, der von 1972 bis 1984 zu Zahrnts Redaktionsteam gehörte. Schriftsteller wie Siegfried Lenz und Heinrich Böll waren ständige Autoren und nahmen oft an Redaktionssitzungen teil. Lenz schrieb über Zahrnt, ihm sei zuzutrauen, "dass er sich nicht mit einem einzigen Apfel vom Baum der Erkenntnis begnügt hätte". Er hätte vielmehr "um den ständigen Schmerz der Wahrheit zu kosten, vermutlich den ganzen Baum geplündert". Zahrnt habe jedes Problem bis in den verborgensten Winkel durchstöbert, "ohne taktischen Vorbehalt, mit aufgedeckten Karten", schrieb Lenz.
"Mittlerdienst" zwischen der Offenbarung Gottes und der Existenz des Menschen
"Zahrnt liebte es zu streiten", sagt Teichert, der selber später Direktor der Evangelischen Akademie in Hamburg wurde und heute die Akademie des Verbandes Christlicher Hoteliers in der Hansestadt leitet. Zahrnt habe die anfangs heftig umstrittene Theologin Dorothee Sölle (1929-2003) zu Kirchentagen eingeladen und war mit dem Kirchenkritiker Hans Küng befreundet, dem 1979 die kirchliche Lehrbefugnis für die römisch-katholische Glaubenslehre entzogen wurde.
Zeitlebens habe Zahrnt seine Arbeit als "Mittlerdienst" zwischen der Offenbarung Gottes in der Bibel und der Existenz des Menschen in der Zeit verstanden, sagt Teichert. Vom platten Glauben an den Fortschritt sei er enttäuscht gewesen, die geistlose Konsum- und Erlebnisgesellschaft habe ihn frustriert. Dabei habe selbst dieser "begnadete Theologe" sein Glück durchaus nicht in der Kirche gefunden.
Kritik an weltfremder Theologie
"Ich fühle mich verletzt", schrieb Zahrnt kurz vor seinem Tod. "Nicht durch die Atheisten, Gottesleugner und Zweifler, sondern durch die Rechtgläubigen, Strenggläubigen, Allgläubigen und ihre amtskirchlichen Beschützer". Die "Dauerkrise" der christlichen Religion habe nicht zuletzt ihre Ursache "in einer weltfremden, abstrakten Theologie", warnte Zahrnt auf dem Stuttgarter Kirchentag 1999.
Sein umfangreiches Werk lässt sich dennoch als permanenter Dialog mit der Gottesfrage lesen. Allein Titel wie "Die Sache mit Gott" (1966), "Gott kann nicht sterben" (1970), "Warum ich glaube" (1977), "Gotteswende" (1989) und "Mutmaßungen über Gott" (1994) bezeugen die lebenslange Auseinandersetzung. Seine Glaubenslehre "Leben als ob es Gott gibt" (1992) verstand Zahrnt als einen Brief an die Zweifler: "Wer Nein zum Christentum sagt, sollte wenigstens verstanden haben, wovon er Abschied nimmt." Zahrnt starb am 1. November 2003 im westfälischen Soest.