Frankfurt a.M. (epd)Ulrich Lilie hält das Band in dem Video hoch. "Auch ich trage dieses Band", sagt der Präsident der Diakonie und zeigt auf sein Handgelenk. "Weil ich mit diesem Band 'ja' sagen möchte. Ja zu den vielen Flüchtlingen in unserem Land, ja zu einem menschenfreundlichen und offenen Deutschland." Auf Facebook hat die Diakonie Deutschland dieses Video vergangene Woche gepostet, um auf eine Aktion mehrerer Verbände hinzuweisen: Sie vertreiben bunte Stoff-Armbänder mit Willkommens-Aufdruck, deren Erlös in die Flüchtlingshilfe geht. In dem sozialen Netzwerk bekam die Diakonie Hunderte Hasskommentare.
"Wir waren geschockt", berichtet Stephan Röger, Online-Manager der Diakonie Deutschland. "Wir waren absolut überrascht vom Ausmaß und der Massivität der Kommentare." Bis zum Mittwochmorgen erreichte die Diakonie mit diesem Post mehr als 91.000 Menschen, mehr als 3.000 Kommentare wurden dazu geschrieben. Diese seien überwiegend negativ, zahlreiche inakzeptabel, sagt Röger. Das Team habe einige gelöscht und zwei Kommentatoren angezeigt.
Mitleser im Visier
Caja Thimm erforscht an der Universität Bonn Shitstorms. Das sind Entrüstungsstürme im Internet, die entstehen, wenn sich zahlreiche Nutzer an Kritik oder Beschwerden beteiligen. Oft kommt es dann zu Beleidigungen, teilweise tritt das eigentliche Thema in den Hintergrund. "Die Flüchtlingsthematik bringt nun eine neue Dramatik", sagt die Medienwissenschaftlerin. "Das sind keine Shitstorms mehr, das sind Hasskampagnen. Mancher muss man ja um sein Leben fürchten, wenn er Unterstützung für Flüchtlinge äußert."
Auch Vivian Pein sieht eine große Gefahr. "Es sind viele Brandstifter unterwegs, die Situationen suchen, in denen sie ihre antidemokratischen Gedanken über Flüchtlinge verbreiten können", erläutert Pein, die Unternehmen im Bereich digitale Kommunikation berät. "Sie richten sich an die Mitleser, nicht an die Organisation, auf deren Seite sie posten." Teilweise sei zu beobachten, dass Kommentatoren auf verschiedenen Seiten immer wieder dieselben Hassbotschaften posten.
Sie erinnere sich nicht, dass bislang ein sozialpolitischer Akteur wie die Diakonie von einer solchen Empörungswelle betroffen war, sagt Thimm. "Aber im Moment muss wirklich jeder damit rechnen."
Reaktionen aus der Community
Der Deutsche Gewerkschaftsbund ist auf Twitter und Co. aktiv. "Wir haben uns auch in sozialen Medien klar pro Flüchtlinge geäußert", sagt Pressesprecherin Marion Knappe. "Hasskommentare haben wir vereinzelt bekommen. Einen Shitstorm haben wir bislang nicht erlebt." Die Mitarbeiter der Caritas freuen sich eigentlich, wenn Nutzer kommentieren. "Wir haben zuletzt viel zur Flüchtlingsthematik gepostet", berichtet Pressereferentin Dorothée Quartz. Einige Kommentare hätten gelöscht werden müssen - "aber das ist immer noch die Ausnahme".
Bei Hasskommentaren reagiere oft die Community: "Andere Nutzer klinken sich ein. Sie widersprechen dem Hass", erzählt Quartz. Diese Erfahrung haben auch die Mitarbeiter des Paritätischen Gesamtverbands gemacht. "Manches reguliert sich in der Community selbst, weil sich andere zu Wort melden", berichtet Pressesprecherin Gwendolyn Stilling.
Wenn falsche Fakten behauptet werden, helfe nur, die korrekte Sachlage darzustellen, sagt Beraterin Pein. "Es geht dabei nicht einmal primär darum, diejenigen zu überzeugen, die das gepostet haben. Es geht um die Mitleser." Mitglieder aus der Community seien als Kommentatoren besonders wertvoll: "Sie sind in der Regel glaubwürdiger als die Organisation selbst. Es darf allerdings nicht der Eindruck entstehen, dass die Unterstützer die Organisation einfach nur blind loben."
Zeichen gegen den Hass
Auch die Diakonie setzte auf Hilfe der Community. In einer Gruppe auf Facebook warb sie um Unterstützung. Etwa zehn bis 15 Nutzer hätten dem Hass gemeinsam widersprochen, berichtet Online-Manager Röger. "Wir wollten deutlich machen, dass wir den Hasskommentatoren nicht die Deutungshoheit überlassen." Daraufhin habe sich die Lage etwas beruhigt. Diese Reaktion habe sich bewährt, sagt Röger: "Es ist unglaublich, wie stark sich die Community engagiert hat. Das ist das Positive, wir konnten ein Zeichen setzen."