Angesichts der hohen Flüchtlingszahlen hat Bundespräsident Joachim Gauck die Deutschen auf schwierige Zeiten eingeschworen. "Es ist eine Kraftanstrengung, wie sie die Bundesrepublik selten meistern musste", sagte das Staatsoberhaupt am Sonntagabend in Mainz bei der bundesweiten Eröffnung der Interkulturellen Woche der Kirchen. "Auch unpopuläre Entscheidungen und unbequeme Schritte werden notwendig sein." Dabei sprach Gauck auch deutlich an, dass die Bundesrepublik seiner Meinung nach nicht alle nach Deutschland strebenden Flüchtlinge aufnehmen könne.
Noch vor einem Menschenleben sei Deutschland selbst ein Staat gewesen, aus dem Hunderttausende geflohen seien, sagte der Bundespräsident bei dem Festakt in der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei. Dass die Bundesrepublik sich zu einem Zufluchtsort gewandelt habe, sei erfreulich. "Es muss Staaten geben, in die Menschen flüchten können, solange es Krieg und Verfolgung gibt", sagte der Bundespräsident. "Unser Deutschland muss einer dieser Staaten sein und bleiben."
Allerdings seien die Möglichkeiten des Landes trotz der großen Hilfsbereitschaft "endlich", sagte er. "Unsere Aufnahmekapazität ist begrenzt, auch wenn noch nicht ausgehandelt ist, wo diese Grenzen liegen." Selbst der große Ideenreichtum und hohe Ausgaben für die Flüchtlingshilfe könnten nicht gänzlich verhindern, dass es zu Konflikten kommen werde. "Wenn wir Probleme benennen und Schwierigkeiten aufzählen, so soll das nicht unser Mitgefühl, unser Herz schwächen", forderte der Bundespräsident.
Damit die innere Ordnung bewahrt und ankommende Flüchtlinge überhaupt aufgenommen werden können, müssten die äußeren Grenzen der Europäischen Union "geschützt" werden. Denjenigen Flüchtlingen, die es in die Bundesrepublik geschafft haben und hier Asyl erhalten werden, versprach Gauck zugleich, sie seien nun in Sicherheit.
EKD-Ratsvorsitzender: Christen müssen Menschen in Not helfen
Zuvor hatten die beiden großen Kirchen bei einem ökumenischen Gottesdienst im Mainzer Dom dazu aufgerufen, sich weiter solidarisch mit den Flüchtlingen zu zeigen. Alle Menschen unabhängig von ihrer Religion seien im Besitz der von Gott gegebenen Menschenwürde, sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, in seiner Predigt Die Glaubwürdigkeit von Christen hänge davon ab, wie sie mit Menschen in Not umgehen: "Und auch politische Regeln, so schwierig sie in der gegenwärtigen Situation zu finden sind, müssen sich diesem Maßstab stellen."
Bedford-Strohm lobte in seiner Predigt die Arbeit von Einsatzkräften und ehrenamtlichen Helfern, denen es gelungen sei, "dass wir bisher mit den großen Flüchtlingszahlen am Ende doch zurechtgekommen sind." Der EKD-Ratsvorsitzende forderte die Gesellschaft zugleich zum entschiedenen Kampf gegen Menschenfeindlichkeit und Fanatismus auf. "Genau darin sind sich Rechtsradikale und Islamisten ja einig: die Würde des Menschen soll nur für einige gelten", sagte er.
Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, kündigte an, die Kirchen würden die Flüchtlingspolitik auch künftig intensiv, "sehr konstruktiv und, wo nötig, auch kritisch" begleiten. Die bundesweiten Aktivitäten während der interkulturellen Woche seien ein Beleg dafür, dass sich "Unzählige in diesem Land eine lebendige, eine vielfältige, offene und gerechte Gesellschaft wünschen, die allen eine Chance gibt."
Die Interkulturelle Woche der Kirchen in Deutschland findet in diesem Jahr zum 40. Mal statt und steht 2015 unter dem Motto "Vielfalt. Das Beste gegen Einfalt". Bundesweit finden an über 500 Orten in Zusammenarbeit mit Kommunen, Migrantenverbänden und Integrationsbeiräten Veranstaltungen zum Thema Zuwanderung und kulturelle Vielfalt statt.