Sechs Tage nach dem verheerenden Erdbeben in Nepal zeichnet das Rote Kreuz ein düsteres Bild von der Lage vor Ort: Im Landesinneren nahe dem Epizentrum sollen Dörfer und Siedlungen zu 90 Prozent zerstört sein. Die Zahl der Toten stieg auf mehr als 6.200, wie der Nationale Katastrophenstab am Freitag in der Hauptstadt Kathmandu mitteilte. Fast 14.000 Menschen wurden verletzt. Tausende werden nach dem Beben der Stärke 7,8 am 25. April noch vermisst, darunter auch etwa 1.000 europäische Touristen. Die nepalesische Regierung schätzt den Bedarf an Hilfe für den Wiederaufbau des Landes auf zwei Milliarden US-Dollar (1,8 Milliarden Euro).
Besonders betroffen ist laut Rotem Kreuz die Region Sindupalchowk nordöstlich von Kathmandu. Nach Angaben von Evaluierungsteams seien dort einige Städte und Dörfer fast komplett zerstört wurden, hieß es in einer Erklärung der Hilfsorganisation. Viele Straßen in der Region sind zudem nach Erd- und Gerölllawinen blockiert.
Armeechef Gaurav Rana sagte, die Zahl der Toten könne auf 15.000 steigen. "Unsere Schätzungen sehen nicht gut aus. Wir denken, dass zwischen 10.000 bis 15.000 umgekommen sind". "Es gibt Unruhen, und wir beobachten das. Es gibt die Gefahr von Seuchen, und wir beobachten das", sagte der General.
Laut dem Chef der EU-Mission in Nepal, Rensje Teerink, werden im Land immer noch etwa 1.000 Europäer vermisst. Die meisten von ihnen seien Touristen, die sich im Langtang-Tal und der Gegend um Lukla aufgehalten hätten. Beide Gebiete sind bei ausländischen Wanderern wegen ihrer Trekking-Routen sehr beliebt.
Finanzminister Ram Sharan Mahat erklärte, das Land benötige mindestens zwei Milliarden US-Dollar, um Wohnhäuser, Büros, Regierungsgebäude, Schulen und Krankenhäuser wieder aufzubauen. Er appellierte an die internationale Gemeinschaft, Nepal dabei finanziell zu unterstützen.
Nach Angaben von Unicef sind von der Katastrophe rund 1,7 Millionen Kinder betroffen. Viele Kinder und Jugendliche hätten nicht nur ihr zu Hause verloren, sondern trauerten um ihre Familien und Freunde, erklärte das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen am Freitag in Köln.
1,4 Millionen Menschen sollen versorgt werden
Fünf Tage nach dem Beben konnten die rund um die Uhr arbeitenden Such- und Rettungsmannschaften am Donnerstag in Kathmandu noch zwei Menschen lebend aus den Trümmern retten. Inzwischen geht die Chance, weitere Überlebende in den eingestürzten Gebäuden zu finden, jedoch gegen Null.
In der Hauptstadt beschimpften wütende Passanten Politiker, die durch die Stadt fuhren, und bewarfen deren Fahrzeuge mit Steinen und Flaschen. Seit Tagen steht die Regierung in der Kritik, weil die Unterstützung für die Erdbebenopfer nicht schnell genug kommt. Die Regierung versprach Familien, die einen Angehörigen verloren haben, eine Kompensationszahlung von 100.000 nepalesischen Rupien (rund 870 Euro).
Das Welternährungsprogramm kündigte an, 1,4 Millionen Menschen in Nepal mit Lebensmitteln zu versorgen. Am Donnerstag sei ein Flugzeug mit 50 Tonnen Nahrungsmittel auf dem internationalen Flughafen in Kathmandu eingetroffen, hieß es. Die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften erklärte, dass die Lage dort weiter angespannt sei. Der Airport sei total überlastet, und viele Flugzeuge mit Hilfsgütern könnten nicht schnell genug abgefertigt werden.