Wenn das Familienglück ausbleibt

Wenn das Familienglück ausbleibt
Psychologe: Mütter brauchen mehr Unterstützung
Selten ruft eine Studie so heftige Reaktionen hervor: Eine israelische Befragung berichtet von Frauen, die ihre Mutterschaft bereuen. Wie kann es sein, dass manche Frauen ihre Kinder lieben und sich doch wünschen, sie niemals bekommen zu haben?

Doreen ist 38 Jahre alt, geschieden und Mutter dreier Kinder: "Ich liebe sie. Sehr sogar", sagt sie über ihre Kinder. "Aber ich könnte sofort auf sie verzichten. Wirklich. Ohne mit der Wimper zu zucken." Doreen ist eine von 23 israelischen Frauen, die die Soziologin Orna Donath von der Universität von Tel Aviv für ihre Studie befragt hat. Die Frauen, die zwischen Mitte 20 und Mitte 70 sind, haben eines gemeinsam: Sie alle bereuen es, jemals Mutter geworden zu sein.

Die Studie hat trotz der kleinen Zahl von Befragten weltweit zu großem Medienecho und sehr unterschiedlichen Reaktionen in Elternblogs und sozialen Netzwerken unter #regrettingmotherhood geführt. Manche sind erleichtert und dankbar über die Bekenntnisse, andere wütend und empört. Einige verlangen: Seinen Kindern zuliebe solle man solche Gefühle nicht öffentlich äußern. Das Thema hat auch die Frage losgetreten, warum Muttersein für viele offenbar bedeutet, eigene Bedürfnisse zu unterdrücken.

"Unter der Oberfläche des heiteren Mutterglücks brodelt es"

Die israelische Studie habe ein Wespennest angestochen hat, bilanziert der Berliner Psychotherapeut Dietmar Lucas: "Unter der Oberfläche des heiteren Mutterglücks brodelt es." Es sei immer noch ein absolutes Tabuthema, wenn eine Frau sage, sie habe keine Lust auf die Kinder. "Das unterliegt noch immer der sozialen Ächtung", urteilt der Diplom-Psychologe. Nicht nur in Israel, wo Kinder schon allein aufgrund der Siedlungspolitik erwünscht seien, sondern auch hier in Deutschland gebe es für Frauen einen "subtilen Gebärdruck", ist sein Eindruck.



"Es wird immer von einem erwartet, dass man seine Mutterrolle liebt", sagt die Kieler Psychologin Svenja Lüthge. "Aber das ist keineswegs selbstverständlich." Es gebe durchaus Frauen, denen die Rolle der Mutter nicht liege, die sich schwer täten mit der Verantwortung und damit, ständig präsent sein zu müssen: "Wenn ich mich für einen Job entscheide, weiß ich manchmal auch erst hinterher: 'Oh, das war die falsche Entscheidung'". Als Mutter habe man dann jedoch nicht die Möglichkeit, einfach alles wieder hinzuschmeißen.

Die Gender-Wissenschaftlerin Sabine Grenz von der Universität Göttingen findet Orna Donaths Studie umso interessanter, weil mit traditionellen Rollenvorstellungen gebrochen werde: "Bislang wurde noch nie erforscht, dass man die Mutterrolle auch bereuen kann." Das eröffne eine völlig neue Facette. "Deshalb halte ich die Studie für einen Befreiungsschlag für alle Frauen, egal, ob sie Mütter sind, es werden wollen oder nicht, weil sie den Raum eröffnet, darüber nachzudenken und damit auch dazu auffordert, darüber nachzudenken und eine bewusste Entscheidung zu treffen", meint Grenz.

Viele Frauen denken nicht darüber nach, ob sie überhaupt Kinder wollen oder nicht

Viele Entscheidungen seien kulturell und gesellschaftlich vorgeprägt. "Wenn man sie nicht ausreichend reflektiert, wird man dazu getrieben, dem Mainstream zu entsprechen", sagt Grenz, die auch am Comenius-Institut forscht, einer evangelische Arbeitsstätte für Erziehungswissenschaft in Münster. Viele der Frauen in der Studie gäben an, vorher überhaupt nicht darüber nachgedacht zu haben, ob sie Kinder wollten oder nicht, weil es ihnen als eine ganz natürliche Folge nach der Hochzeit erschienen sei. Grenz folgert daraus: "Frauen werden auch heute noch zu wenig dazu erzogen, eigene Entscheidungen zu treffen."

Und auch Frauen, die sich bewusst für das Muttersein entscheiden, sehen sich nach der Geburt der Kinder oft noch immer in eine sehr traditionelle Rollenverteilung gedrängt. Oft ist es diese Rolle, die die Frauen belastet, es sind nicht die Kinder. "Gleichberechtigung ist nicht gleich Gleichbelastung", sagt Bastian Roet vom Berufsverband Deutscher Soziologinnen und Soziologen. Auch wenn eine Frau genauso berufstätig sei wie ihr Ehemann, bleibe trotzdem ein Großteil der Hausarbeit und der Kinderversorgung an ihr hängen.

Dietmar Lucas bedauert, dass es noch immer so wenig soziale Anerkennung für die Mutterrolle gibt, die einfach als selbstverständlich vorausgesetzt werde. Männer müssten ihre Frauen in der Kindererziehung mehr unterstützen, fordert der Psychologe und Therapeut Laszlo Pota aus Lübeck. Müttern müssten mehr Freiräume ermöglicht werden: "Burn-out im Mutterdasein ist ein immer häufiger auftretendes Problem."