EU-Gipfel beschließt bessere Seenotrettung im Mittelmeer

Sie wurden gerettet: Bootsflüchtlinge verlassen im Juli 2014 das italienische Militärschiff "Etna", das 2186 Flüchtlinge vor der sizilianischen Küste rettete.
Foto: dpa/Cesare Abbate
Sie wurden gerettet: Bootsflüchtlinge verlassen im Juli 2014 das italienische Militärschiff "Etna", das 2186 Flüchtlinge vor der sizilianischen Küste rettete.
EU-Gipfel beschließt bessere Seenotrettung im Mittelmeer
Die Flüchtlingskatastrophe vor Libyen mit mehr als 800 Toten hat Europas Bürger und Politiker erschüttert. Jetzt will die EU die Seenotrettung ausbauen. Doch reicht das? "Die EU rettet eher ihr Gesicht als Flüchtlinge", meint Amnesty International.

Die Europäische Union will ihre Aktivitäten zur Seenotrettung deutlich ausweiten, um weitere Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer zu verhindern. Bei einem Krisengipfel am Donnerstag in Brüssel beschlossen die EU-Regierungen, das Budget des Grenzeinsatzes "Triton" vor Italien und Malta zu verdreifachen. Bisher stehen "Triton" nur knapp drei Millionen Euro im Monat zur Verfügung, um Schiffe und Flugzeuge an die Mittelmeergrenzen zu schicken. Wenn auch die aufgestockten Gelder nicht ausreichten, "müssen wir eben noch einmal darüber reden", unterstrich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach Abschluss der Gespräche.

"Wir wollen, dass zusätzliche Einsatzkräfte möglichst schnell vor Ort sind", sagte Merkel. Sie kündigte an, dass Deutschland eine Fregatte und ein Versorgungsschiff der Marine in das Einsatzgebiet schicken werde. Beides sei von der EU-Grenzagentur Frontex gewünscht worden. Auch andere EU-Regierungen boten zusätzliche Ressourcen an. Großbritannien will beispielsweise einen Hubschrauberträger und zwei weitere Schiffe bereitstellen, obwohl die Regierung in London bisher eine Beteiligung an "Triton" kategorisch abgelehnt hatte.

Für die Europa-Abgeordnete Rebecca Harms (Grüne) ist das Ergebnis des Brüsseler Gipfels ein "Desaster". Nachdem in einer Woche mehr als Tausend Menschen ums Leben gekommen sind, seien die EU-Länder "nicht zu mehr in der Lage, als weiter auf Abschottung zu setzen", sagte Harms am Freitag dem Radiosender Bayern 2. Mehr Mittel für das Programm "Triton" und die Arbeit der EU-Grenzagentur Frontex bedeuteten nach ihrer Einschätzung jedoch, dass "eher die Abschottungsstrategie weiterentwickelt und verfolgt werden soll".

"Als Gipfel der Schande" kritisierte "Pro Asyl" die Brüsseler Beschlüsse. "Die EU begeht einen Verrat an ihren Werten und an den Flüchtlingen", sagte Geschäftsführer Günter Burkhardt. Er appellierte an das EU-Parlament, den gesamten EU-Haushalt solange zu sperren, bis eine zivile europäische Seenotrettung installiert werde. Statt Seenotrettung setze die EU auf Abwehr und Abschreckung. "Wer die Boote der Schlepper zerstört, trifft damit auch die Flüchtlinge", warnte Burkhardt. Die EU ziehe nun einen weiteren Wall um die Festung Europa: "Das Sterben geht weiter, aber außerhalb des Sichtfelds der europäischen Öffentlichkeit."

Das EU-Krisentreffen war eine Reaktion auf das Bootsunglück vom vergangenen Wochenende, bei dem vor der libyschen Küste beim Untergang eines überfüllten Flüchtlingsschiffes mindestens 800 Menschen ertrunken waren. Allerdings ist die Ausweitung des "Triton"-Einsatzes nicht unumstritten. "Triton" ist laut Frontex-Mandat keine reine Seenotrettungs-, sondern eine Grenzpatrouillen-Operation. Das bedeutet unter anderem, dass die Einsatzkräfte nicht proaktiv nach Schiffbrüchigen suchen, sondern nur auf empfangene Notsignale reagieren. Zudem ist das Einsatzgebiet begrenzt.

Flüchtlingsrechtler: Nur sichere Zugangswege können Lösung sein

"An der Abwehrhaltung der EU ändert auch die Verdreifachung der Mittel für 'Triton' nichts", kritisierte die EU-Parlamentarierin und Menschenrechtsexpertin Barbara Lochbihler (Grüne). Eine angemessene Antwort der EU auf das Sterben im Mittelmeer wären vielmehr eine permanente EU-Seenotrettung sowie sichere Zugangswege für Flüchtlinge gewesen, unterstrich sie. Im Moment seien die Flüchtlinge auf kriminelle Schlepper angewiesen, um nach Europa zu gelangen. "Die EU rettet eher ihr Gesicht als Flüchtlinge", kommentiert die Menschenrechtsorganisation Amnesty International.

Gerade den Schlepperbanden will die EU laut Gipfelbeschluss nun den Kampf ansagen. "Es geht um zusätzliche Anstrengungen, die Täter zu verfolgen, zur Rechenschaft zu ziehen, die Netzwerke zu zerschlagen und Vermögenswerte zu beschlagnahmen", sagte Merkel. Der Gipfel beauftragte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, Maßnahmen auszuarbeiten, um Schmugglerboote zu beschlagnahmen und sie zu zerstören. EU-Beamte hatten zuvor erläutert, dass ein solcher Einsatz auch eine militärische Komponente umfassen könne.

Die EU-Regierungen halten es auch für wichtig, die Migrations- und die Entwicklungspolitik zu verknüpfen und dabei enger mit dem afrikanischen Kontinent zusammenzuarbeiten. Es sei ein außerordentlicher EU-Afrika-Gipfel in Malta geplant, kündigte Merkel an. Die Gipfelteilnehmer halten im Grundsatz auch eine andere Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU für vorstellbar, gerade wenn ein Ankunftsland besonders belastet ist. "Ich glaube, dass angesichts der Aufgabe, wie wir sie jetzt vor uns sehen, die Dublin-Regeln verändert werden müssen", sagte Merkel. "Das wird ein umfassender Prozess sein." Zunächst gehe es um ein Projekt auf freiwilliger Basis.

Entschärft wurde in der Schlusserklärung ein Absatz, in dem es darum geht, afrikanische Länder bei eigenen Grenzschutzprojekten zu unterstützen. In einem früheren Entwurf hatte es noch geheißen, dass die Transitländer dafür sorgen sollten, dass "potenzielle Migranten die Mittelmeerküsten nicht erreichen". Im Schlussdokument geht es nur noch um "Unterstützung für die Grenzüberwachung und -kontrolle". Der Abschnitt bezieht sich auf die Länder Tunesien, Ägypten, Sudan, Mali und Niger.

Ob die EU sich noch zu tiefgreifenderen Reformen ihrer Flüchtlings- und Migrationspolitik entschließt, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. In Kürze will die EU-Kommission ein Strategiepapier mit Vorschlägen zu verschiedenen Aspekten des Migrations-Themas vorlegen. Im Juni befasst sich erneut ein EU-Gipfel mit der Thematik.