Mit einem ökumenischen Gottesdienst im Berliner Dom haben Kirchen und der Bundespräsident am Donnerstagabend an die Vertreibung und Vernichtung der Armenier vor 100 Jahren im Osmanischen Reich erinnert. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, rief in seiner Predigt dazu auf, "den Schrecken beim Namen zu nennen". Immer mehr Staaten bezeichneten die Ereignisse "zurecht als Völkermord", sagte Marx. Auch Bundespräsident Joachim Gauck sprach in seiner Rede von Völkermord.
Gauck wählte dabei die gleiche Formulierung, die auch im Bundestagsantrag von CDU/CSU und SPD nach langen Verhandlungen eingefügt wurde. "Das Schicksal der Armenier steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von der das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist", sagte das Staatsoberhaupt.
An anderer Stelle, an der er auch die Deutschen an ihre Verantwortung erinnerte, bezeichnete Gauck die Verbrechen direkt als Völkermord. "In diesem Fall müssen auch wir Deutsche insgesamt uns noch einmal der Aufarbeitung stellen, wenn es nämlich um Mitverantwortung, unter Umständen gar um eine Mitschuld am Völkermord an den Armeniern geht."
Der Bundespräsident warnte aber davor, die Debatte auf die Bezeichnung für die historischen Ereignisse zu reduzieren: Es gehe vor allem darum, "die planvolle Vernichtung eines Volkes in ihrer ganzen schrecklichen Wirklichkeit zu erkennen, zu beklagen und zu betrauern." Die Anerkennung historischer Tatsachen dürften die Angehörigen der Opfer zurecht erwarten.
Bedford-Strohm: Auch die Evangelische Kirche hat weggeschaut
Auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, erinnerte an die Verantwortung Deutschlands beim Genozid. Die Mitschuld bestehe im Wegsehen der Diplomaten, Militärs und Politiker des Deutschen Reiches. Es dürfe auch nicht verschwiegen werden, dass evangelische Kirchenleitungen und Missionsgesellschaften vor 100 Jahren Bescheid wussten, aber dennoch weggeschaut hätten. Nur wenn man diese Mitschuld ausspreche und anerkenne, könne man die Türkei zu einer aufrichtigen Auseinandersetzung ermutigen, sagte der bayerische Landesbischof.
Die Massaker an Armeniern, Aramäern, Assyrern und Pontos-Griechen begannen am 24. April 1915. Die Verbrechen während des Ersten Weltkriegs kosteten rund eine Million Menschen das Leben. Die Türkei lehnt bis heute ab, die systematische Vernichtung als Völkermord zu bezeichnen. Aus diplomatischer Rücksicht hat bislang auch die Bundesregierung diesen Begriff vermieden. In einem Antrag der Koalitionsfraktionen, der am Freitag im Bundestag verabschiedet werden soll, ist in diesem Zusammenhang nun aber von "Völkermord" die Rede.
Bischof Marx sagte, er könne verstehen, dass die Nachfahren der Opfer auf dieser Charakterisierung beharren. "Sie wollen die jahrzehntelange Geschichte des Leugnens, Verdrängens und Bagatellisierens definitiv beendet wissen", sagte Marx. Es sei daher wichtig, zusammenzukommen, "um den Schrecken beim Namen zu nennen" und nach Versöhnung zu suchen. Der Münchner Erzbischof erinnerte auch an die christlichen Minderheiten, die heute im Nahen Osten "im Sinne einer ethnischen und ideologischen Säuberung" vertrieben würden.
Bei dem ökumenischen Gottesdienst mit mehr als 1.000 Teilnehmern im Berliner Dom erinnerten Vertreter von insgesamt sechs christlichen Kirchen an die Armenier, Aramäer und Pontos-Griechen, die dem Genozid vor 100 Jahren zum Opfer fielen. Eingeladen hatten die EKD, die Bischofskonferenz und die Armenische Apostolische Kirche.